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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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die Tür. Alle hatten denselben Spruch drauf. „Sonderrabatt. Nur für Sie, weil Sie wie ein feiner Herr aussehen.“ Was trieb Pieta eigentlich? Warum war sie immer noch nicht zurück?
    Ringsum belebte sich allmählich das Geschäft. Die Straße war voll von Leuten, und alle ein, zwei Minuten stieg jemand aus einem Taxi, ging schnurstracks zu den Blumenständen, kaufte sich eine dünne Jasmingirlande und band sie sich um das Handgelenk. Nächster Taxistop: einer der zwanzig paanvalas auf dieser engen Gasse. Paan gehörte ebenso zur Routine wie der parfümgetränkte Wattebausch im Ohr. Der Mann bestellte einen Paan, kämmte sich im Neonlicht vor dem Spiegel an der Rückwand der Verkaufsbude. Wenn das Haar widerspenstig war, klatschte er es sich mit Spucke an, dann schob er sich das gefaltete grüne Blatt mit seiner Ladung aus Kalkpaste, Betelnuss und Kautabak in den Mund, griff sich in den Schritt, um sich zu vergewissern, dass der Marschallstab noch an seinem Platz und unbeschädigt war, und verschwand in einem der offenen Hauseingänge.
    Wo war Pieta? Warum hatte er sie nicht begleitet? Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, seit sie verschwunden war; es kam ihm wie eine Woche vor. Bitte, lieber Gott, mach, dass ihr nichts passiert ist! Im Taxi fühlte er sich eingesperrt und wurde immer unruhiger und ängstlicher. Er stieg aus und ging die Straße auf und ab. Jeder Paanvala hatte ein Transistorradio, und jedes kannte nur eine Lautstärke: diejenige, die einem das Trommelfell durchlöcherte, sprengte und zerfetzte. Was reingeht, muss auch wieder rauskommen, und während die Freier aus den Gehegen hervorkamen, in denen die Damen ihrem Gewerbe nachgingen, kam Ravan der Gedanke, dass es hier so zuging wie in diesen Udipi -Schnellimbissen, die neuerdings überall in der Stadt aus dem Boden schossen: Man war schon wieder draußen, noch ehe man hineingegangen war. Er hätte die Männer gern gefragt, ob sie auf ihre Kosten gekommen waren, aber er war nicht in der Stimmung für Geplänkel. Viele schlenderten sofort weiter zum Delhi Darbar, wohin Menschen aus ganz Bombay kamen, um boti kabab , Hammel- biryani und paaya zu essen. Wenn Pieta in fünf Minuten nicht wieder auftauchte, würde er hineingehen. Es würde schwierig werden, sie zu finden, im Rehman Manzil schien es wenigstens hundert Einzimmerwohnungen zu geben, und er wusste nicht einmal, in welchem Stockwerk sie war. Er würde an jeder Tür anklopfen müssen. Was, wenn er sie nicht fand? Weitere zehn Minuten verstrichen, dann fünfzehn, aber er wagte es nicht, sich allzu weit von seinem Taxi zu entfernen. Was, wenn sie zurückkäme, während er gerade nach ihr suchte, und denken würde, er hätte sie im Stich gelassen?
    Mittlerweile musste er bereits zwei Mal um den Globus gewandert sein. Ach, Pieta, was treibst du für Spielchen mit mir? Wie soll ich deiner Mutter begegnen, wenn dir was passiert? Dann kam ihm der Gedanke, dass sie vielleicht das Geld für die Fahrt nicht gehabt hatte und einfach still und leise verschwunden war, nachdem sie was auch immer erledigt hatte. Oder zahlte sie ihm damit heim, was er angeblich ihrem Vater angetan hatte? Falls ja, war es eine seltsame Art von Rache. Aber nein, aus irgendeinem Grund war er sich sicher, dass sie ihm keinen fiesen Streich spielen würde. Sie hatte ein so sanftes Gesicht und sie sah so vertrauensvoll aus. Es war alles seine Schuld. Er hätte sie fragen sollen, wie lange sie brauchen würde. Er hätte ohne Weiteres ein paar Fahrgäste befördern können, während sie sich die Haare machen ließ oder einem Dutzend Prostituierter einen Vortrag darüber hielt, wie sie sich einen Lebensunterhalt anders verdienen könnten als dadurch, dass sie ihren Körper verkauften. Vielleicht gab sie ihnen ja Nähunterricht. Ihre Mutter hatte ihr doch bestimmt beigebracht, wie man Hosen, Röcke und Blusen, Party- und Hochzeitskleider schneiderte, da sie doch genau damit die Familie ernährte.
    Ein zerlumpter Junge mit einer bestickten Kappe zerrte an seiner Hand. Das war das Problem mit Bombay, dachte er, die Bettler waren so hartnäckig, dass sie sich buchstäblich wie Kletten an einen hängten und mit ihren schmutzigen Händen an einen klammerten in der – nicht gänzlich unbegründeten – Hoffnung, dass man, allein um sie loszuwerden, Geld ausspucken würde. Immer wieder

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