Die Statisten - Roman
da stand sie plötzlich vor ihm. Navare versuchte sie wegzuscheuchen, aber sie achtete nicht auf ihn.
âWir sprechen uns zu Hause, Ravanâ, sagte Parvati-bai leise und wandte sich ab. Ravan hörte mitten im Stück auf und wollte ihr schon kleinlaut folgen, doch sie drehte sich noch einmal um. âNicht bevor du deinen Auftrag erledigt hast. Du lässt deine Freunde nicht im Stich!â
Shankar-rao hatte mit mehr als nur einem Hauch von Schadenfreude gekeckert, als Ravan an dem Abend heimgekommen war. âEinen prächtigen Sohn hast du da groÃgezogen! Fällt bei der Abschlussprüfung durch und bringt auch sonst nichts zustande. Aber was hätte man von ihm auch erwarten können, nachdem du ihn nach einem Dämonenkönig umgetauft hast? Der wird schon ein richtiger Held werden, unser Ravan, und seiner Familie Ehre machen, dieser Nichtsnutz!â Parvati-bai ignorierte seine Sticheleien, und Ravan war viel zu verschüchtert, um auf die Bemerkungen seines Vaters zu achten. Der Himmel war im Begriff, ihm auf den Kopf zu fallen â auch wenn Ravan nicht ganz sicher war, wie seine Strafe konkret ausfallen würde. Würde seine Mutter ihn verdreschen? Würde sie ihm die Beine brechen? Würde sie ihn endgültig und unwiderruflich aus dem Haus jagen?
Parvati-bai servierte ihrem Sohn und ihrem Mann das Abendessen, spülte das Geschirr, wickelte die Mungbohnen in ein feuchtes Tuch, damit sie bis zum nächsten Morgen keimen würden, putzte sich die Zähne und legte sich schlafen. Was war mit seiner Mutter passiert? Baute sie allmählich ab? Hatte das nahende mittlere Alter sie mürbe gemacht? Sie war von jeher eine nüchterne Frau gewesen und sie hatte eine krankhafte Aversion gegen Lügen, insbesondere wenn deren Urheber ihr einziger Sohn war. Normalerweise hätte sie ihm längst den Schädel eingeschlagen. Doch Ravan klagte nicht. Er war nicht der Typ, der einem geschenkten Gaul ins Maul schaute.
Das Gewitter war vorübergezogen. Er hatte sich völlig grundlos Sorgen gemacht. Ja, es hatte überhaupt kein Gewitter gegeben. Vielleicht hatte seine Mutter ein Einsehen gehabt, und er konnte weiter in der Band spielen. Er schlief den Schlaf des Gerechten, beziehungsweise desjenigen, der kalt erwischt worden war und trotzdem ungeschoren davonkam.
Am nächsten Morgen hatte Parvati-bai ihn mit ihrem Ultimatum geweckt: âSchluss mit der Gratisverpflegung, Ravan! Wer nichts verdient, kriegt nichts zu essen!â
An dem Abend sprach Parvati-bai noch einmal mit ihm. âHierâ, sagte sie und drückte ihm zwei Blätter in die Hand. âDas eine ist eine Anfänger-Fahrerlaubnis, und das andere ist die Quittung der Bombay Scientific Driving School für im Voraus bezahlte Gebühren. In fünf Monaten besorgen die dir eine Stelle als Taxifahrer. Was du mit deiner Freizeit anstellst, ist deine Sache, aber schwänz keine einzige Unterrichtsstunde, Ravan. Falls doch, kannst du dich entschuldigen, so viel du willst, aber dann hast du kein Zuhause mehr.â
Ravans Laufbahn als Taxifahrer nahm nicht eben den verheiÃungsvollsten Anfang. Die Fahrschule hatte ihm in fünf Monaten eine Stelle versprochen, aber er hatte noch weitere vier warten müssen, ehe er den Job bekam. Gleich am allerersten Tag hatte er einen Zusammenstoà mit der Bombayer Polizei.
âFünfundzwanzig Rupienâ, sagte der ältere der zwei Polizisten zu Ravan.
âWegen was?â
âNur vier Taxis erlaubt auf diesem Taxistand.â
âNa und? Ich bin das vierte Taxi.â
âMag sein, aber du stehst auÃerhalb des markierten Standplatzes.â
âTu ich nicht.â
âTust du doch.â
Ravan stieg aus dem Taxi aus und sah nach. âAlles in Ordnung. Der Wagen ist perfekt eingeparkt.â
âWillst du damit sagen, dass wir blind sind? Er steht mindestens um zwölf Zoll auÃerhalb der Markierung.â
âIch kenne das Gesetz. Sie können mir nichts vorwerfen. Auf dem Schild da steht vier Taxis, und ich bin das vierte.â
âOho, wir haben es mit einem Advokaten zu tun!â, mischte sich der jüngere Polizist ein. âWarum fährst du Taxi? Du gehörst aufs Gericht. Vierzig Rupien.â
âSie machen wohl Witze!â
âNoch ein Wort, und ich mach fünfzig daraus. Du kannst vor Gericht behaupten, was du willst. Ich werde dem ehrenwerten Richter sagen, dass du die Justiz
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