Die Statisten - Roman
haben. Nimm es bloà mit.â
Ravan hakte den Tragegurt in die stählernen Ringe an beiden Enden des Xylophons und wuchtete es sich auf die Schulter.
âAcht Rupien!â, schrie Navare Ravan hinterher. âDu hast keinerlei musikalisches Gehör, Ravan! Ich bin deine einzige Hoffnung!â
âFünfâ, konterte Ravan.
âSieben, und die Sache ist geritzt! Stell das Xylophon wieder hin, du Idiot. Wir fangen gleich mit der ersten Unterrichtsstunde an.â
Ravan musste zugeben, dass der Bandleader seinen Job beherrschte. Man konnte Navare ein beliebiges Blas-, Tasten- oder Saiteninstrument geben, und er erweckte es zum Leben und lieà es nach seiner Melodie tanzen. Stundenlang saà er mit seinem Schüler zusammen und führte ihm die Kunst vor, Raga-Motive auf dem Harmonium zu spielen. Gelegentlich holte er die Sarangi â das Saiteninstrument, dessen Klang dem der menschlichen Stimme am nächsten kommt â aus ihrem Kasten, bestrich den Bogen mit Kolophonium und spielte. Ravan arbeitete Stunden an den musikalischen Ãbungen und seine Technik wurde von Woche zu Woche besser. Doch was noch wichtiger war â er wagte sich nun mit gröÃerer Sicherheit und tieferem Verständnis an immer komplexere Phrasierungen heran. Er spielte jetzt nicht mehr nur Xylophon. Er kam stets früh zu den Proben und versuchte sich dann an der Klarinette oder sogar dem Saxophon.
Ravan war mittlerweile seit anderthalb Jahren Mr Navares Schüler. Er war normalerweise vier bis fünf Monate im Rückstand mit der Bezahlung, und von Zeit zu Zeit bekam sein Lehrer einen Tobsuchtsanfall und verlangte sein Geld. Die Augen des Meisters quollen dann gefährlich hervor, und das dünne Geflecht von Adern an seinem Hals und seiner Stirn schwoll an und begann wie ein Spinnennetz im Sturm zu vibrieren. Ravan fürchtete dann immer, Mr Navare würde sagen, er möge sich zum Teufel scheren und sich nie wieder blicken lassen. Oder schlimmer noch, er würde vor seinen Augen explodieren und sich selbst vernichten. Doch die Wutausbrüche des Bandleaders waren immer nur von kurzer Dauer. Er war fast so knapp bei Kasse wie Ravan, und er wusste, dass der Junge nicht nur der beste Schüler war, den er je gehabt hatte, sondern auch das zuverlässigste und vielseitigste Mitglied der New India Brass Band.
Es war der letzte Tag der Hochzeitssaison. Dank den dreibis viertausend EheschlieÃungen, die allein in Bombay an diesem Tag begangen wurden, war die New India Brass in eine höhere Klasse aufgestiegen. Die Band war engagiert worden, auf einer Brahmanen-Hochzeit in der Laxmi Baug Hall im gutbürgerlichen Stadtbezirk Girgaon zu spielen.
âHeute in Girgaonâ, verkündete Navare triumphierend, âund morgen ⦠morgen in Dadar, ja im Shivaji Park!â
Kanhaiyyalal, der Klarinettist, war der Zyniker der Kapelle. âBis âmorgenâ ist es noch ein halbes Jahr hin, und ich bezweifle, dass die Band nach dem heutigen Abend noch existieren wird. Du schuldest uns noch immer zwei Monatslöhne.â
âDu hast keine Vorstellungsgabe, Kanhaiyyalal, keinerlei visionäre Kraftâ, beklagte Kamble, der Trommler und Harmoniumspieler. Sein Kopf war in den Nacken geworfen und sein Kinn gen Himmel gereckt, sodass sein zierliches Profil zu anbetungswürdiger Wirkung gelangte. âWir mögen Erdlinge sein, doch der Aufstieg des Menschen zum Trommelschlag der Zeit war einzig möglich, weil das Menschengeschlecht mitunter die Kühnheit besessen hat, mit den Göttern zu wandeln.â Ravan starrte den ehemaligen Mimen ehrfürchtig an. Wenn Kamble in Form war, konnte er einen die dürftige Bedeutungslosigkeit des eigenen Lebens vergessen lassen. Man übersah, dass sein Haar stümperhaft gefärbt war und sein Kunstgebiss ihm, wenn er besonders erregt war, ständig aus dem Mund fiel. Man nahm nur noch die Poesie seiner Worte wahr und deren Macht, einen zu groÃen Taten zu inspirieren und zu beflügeln, unbekannte Welten zu erobern. Dann glaubte man ihm, dass er nicht nur einem Maler als Modell für Madan, den Gott der Liebe, gedient hatte, sondern auch einer der groÃen Sänger-Schauspieler längst verflossner Zeiten gewesen war, der jede weibliche Rolle auf der Marathi-Bühne gespielt hatte und von herzlosen jüngeren Publikumsgenerationen vergessen worden war.
âDoch du, Kanhaiyyalal, selbst wenn du in den Himmel
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