Die Statisten - Roman
und dort geblieben, bis Nagma Rani ihn bei der Landung auf Mauritius geweckt hatte. Es war noch immer Morgen. Er sah nach drauÃen und glaubte, noch immer zu schlafen. Ein smaragdgrünes Meer, so durchsichtig wie Luft? Klar, warum nicht gleich ein violettes oder blutrotes? Aber auch während der Fahrt zum Hotel blieb es smaragd- und türkis- und aquamarinfarben. Wie konnte Wasser so überwältigend schön sein? Wie konnte es ein Mensch ertragen, im Angesicht von etwas so Schönem und Unberührtem zu leben? In Bombay war das Meer immer grau, und während des Monsuns wurde es noch grauer und schlammiger. Als sie sich für den ersten Take vorbereiteten, hatte er beschlossen, wie spät es am Abend auch werden sollte, am nächsten Morgen in aller Frühe zum Strand zu gehen und zu erleben, wie der Ozean von den ersten Strahlen der Sonne erhellt wurde.
Stattdessen war er nun auf dem Rückflug und konnte es nicht ertragen hinauszuschauen. Er warf einen Blick auf Eddie, der neben ihm saÃ. Er schlief tief und fest, auf den Lippen ein leichtes Lächeln, das von einem gleichmäÃigen leisen Schnarchen begleitet wurde. Seit dem Moment, als diese Asmaan herübergekommen war, um ihnen zu gratulieren, hatte er sich merkwürdig verhalten â oder vielleicht hatte es auch erst später angefangen, nachdem Nagma Rani ihnen gesagt hatte, sie seien aus dem Film raus und müssten umgehend abreisen. Was zum Teufel war los mit ihm? Wusste er nicht, wie viel auf dem Spiel stand? Das war die Chance gewesen, für die jeder Statist seine Seele verkaufen würde; höchstwahrscheinlich war das die letzte Gelegenheit für sie gewesen, in die andere Welt, in der Schauspieler lebten und arbeiteten, hinüberzuwechseln, und sie hatten sie verbockt. Aber Eddie wirkte so, als sei ihm das völlig gleichgültig.
Die gestrichene Tanzsequenz oder der Verlust solch einer groÃartigen Gelegenheit spielten für Eddie keine Rolle mehr. Er hatte es von Anfang an gewusst. Er war für Höheres bestimmt. Ravans und sein Weg würden sich niemals wieder kreuzen. Die Schicksalswende zeichnete sich bereits ab. Paradox war es allerdings schon, dass er auch diese zweite Chance Ravan verdankte. Wäre Ravan nicht gewesen, hätte er den Zettel, den Sapna-ji in seinen Schoà hatte fallen lassen, gar nicht bemerkt! Eddie hatte das Briefchen, seit er es aufgehoben hatte, kaum weniger als tausendmal durchgelesen. Als er es zum ersten Mal öffnete, war er besonders vorsichtig gewesen. Es war mehrfach gefaltet gewesen, wie die Papierblättchen, in denen homöopathische Pulver eingepackt werden. Als man sie in die Regie gerufen hatte, war er bewusst hinter Ravan zurückgeblieben. Sobald sie dann im Flugzeug waren, hatte er sich, jedes Mal wenn er zur Toilette ging, aufs Klo gesetzt und es immer und immer wieder durchgelesen. Er war Schauspieler und Sänger. Er konnte Hunderte von Textzeilen mit nur einem Blick auswendig lernen. Natürlich kannte er den Inhalt des Briefes bereits nach einmaligem Durchlesen Wort für Wort, aber es war nicht dasselbe, wie das feste Papier zu spüren, die feine glatte Oberfläche, so vollkommen wie Belles Haut, die flachen Furchen und Winkel der Falze, den schweren Blumenduft des Parfüms, das von der Hand der Schreiberin aufs Papier übergegangen sein musste, Sapna-jis kräftige, entschlossene Handschrift, die zu verstehen gab, dass sie keinerlei Widerwort dulden würde.
Coutinho,
ich ziehe Sie für die Hauptrolle eines Films in Betracht, den mein Mann und ich produzieren.
Rufen Sie mich an, sobald Sie zurück sind, und vereinbaren Sie einen Termin für eine Probeaufnahme. Die Telefonnummer lautet 6510037 . Protzen Sie mit der Sache nicht herum wie alle Statisten, die gern Schauspieler werden möchten und sich offenbar dazu gedrängt fühlen.
S.
Eddie küsste das Blatt, er atmete dessen Duft, er drückte es an die Brust, er schmachtete es an, er gelobte, es einzurahmen. Es würde ihm zu gegebener Zeit Gott weià wie viele hunderttausend Rupien einbringen. Eines Tages würde es auch hier in Bombay eine Hall of Fame geben, wie in Hollywood, und dieses Briefchen würde darin an prominenter Stelle als Erinnerung an den Wendepunkt seiner Laufbahn ausgestellt werden: Eddie Coutinho, der erste katholische Superstar der Hindi-Filmindustrie.
Nicht nur Akram-bhai und Jalaluddin-bhai, alle in der Statistengewerkschaft
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