Die Statisten - Roman
teuren Fitnessstudio trainierte. Sie warf Asmaan vor, sie nehme nicht genügend Rücksicht auf Yaqub. Hatte sie denn überhaupt nur eine Ahnung, welches Glück es bedeutete, einen so liebevollen und redlichen Bruder zu haben? Kam ihr je in den Sinn, dass er den Familiennamen weitertragen würde, und nicht etwa Asmaan oder ihre Schwestern? Sollte sein Vater â was Gott verhüten möge! â einmal diese Welt verlassen, fiele die Bürde, für seine Mutter und Schwestern zu sorgen, auf seine Schultern. Asmaan war die älteste Tochter. Sie sollte ihren Schwestern ein Vorbild sein und sich um seine Bedürfnisse kümmern. Stattdessen flitzte sie jeden Morgen in aller Frühe zur Film City oder in irgendein Studio. Der arme Yaqub, er war ein so guter Junge, nie hörte man von ihm ein Wort der Klage! Hatte Asmaan ihren Bruder in all den Jahren auch nur ein Mal gefragt, was er gern zum Abendessen haben wollte, oder ihm zum Geburtstag Biryani oder Reispudding gekocht? Hatte sie es nur ein einziges Mal für nötig befunden, ihm seine Sachen zu bügeln oder ihm ein Hemd zu kaufen?
Yaqub war der einzige Sohn der Familie. Es war nur dieses eine Mal, dass Asmaans Mutter ihren Job getan und ihr Dasein gerechtfertigt hatte. Danach war sie kläglich gescheitert: Man stelle sich nur vor, sieben Töchter hintereinander! Die jüngste Schwester war erst drei, während sich die zweitälteste im ersten College-Jahr befand. Asmaan war also die Einzige, die Geld nach Hause brachte. Sie zog jeden Morgen um sieben Uhr los, egal ob sie einen Auftrag hatte oder nicht â obwohl sie es eigentlich fast jeden Tag schaffte, einen Job zu bekommen. Es war ein Rätsel, wie es ihr gelang, immer heiter und vergnügt zu sein, aber Ravan ahnte auch, dass sie ihre gute Laune wie einen Panzer einsetzte. Sie benutzte sie, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken â und vielleicht auch, um sicherzustellen, dass, wie viel auch von ihrer Familie die Rede sein mochte, ihr eigener, privater Bereich nicht verletzt würde.
20
âDu hast dir ja echt Zeit gelassen, Ravan! Ich warte schon seit einer halben Stunde auf dich!â Eddie saà auf dem Treppenabsatz des vierten Stockwerks, das Gesicht schmerzverzerrt.
âDie Sonne ist heute scheinbar im Westen aufgegangen. Dich so früh am Morgen zu sehen? Ich war die ganze Zeit hier. Du bist derjenige, der sich die letzten sechs Wochen nicht hat blicken lassen, Brando.â
âNenn mich nie wieder so! Warum lässt du mich eigentlich so lange warten?â
âIch bitte um Vergebung, Coutinho-sahabâ, sagte Ravan ehrerbietig. âEs wird nicht wieder vorkommen.â
âLass diesen ScheiÃ, Ravan! Siehst du nicht, dass ich Schmerzen habe?â
âWoher zum Teufel hätte ich wissen sollen, dass du auf mich wartest, Coutinho?â
âEddie, ich heiÃe Eddie. Wage es ja nicht, mich bei meinem Nachnamen zu nennen!â, stöhnte Eddie.
âVon was für Schmerzen redest du? Wenn es so dringend war, warum bist du nicht direkt zu uns gekommen, statt hier zu warten? Meine Mutter kocht den knallhärtesten Masala-Tee der ganzen Stadt. Ist der âLetzte Tangoâ also abgedreht?â
âIch kann nicht stehen, ich kann nicht sitzen, ich kann nicht schlafen, ich kann nicht denken.â
âMuss diese tolle Brando-Rolle sein, die dich so aufgedreht hat. Hast du ein Schwein, Mann!â
Eddie wusste nicht so recht, ob Ravan ihn verscheiÃerte. âDu Mistkerl! Mein Penis ist zur GröÃe einer Aubergine angeschwollen, vielleicht sogar noch dicker, und du findest das zum Lachen?â
âEddie-ji, das ist alles nur ein Sapna, ein Traum, den du zusammen mit Sapna-ji träumst.â
âEs tut so höllisch weh, dass ich nicht mal pissen kann! Und wenn doch, fühlt es sich an, als würde ich Glasscherben pinkeln!â
âNa, na, Eddie-ji, jetzt ist es aber genug mit den schmutzigen Wörtern!â
âIch haltâs nicht mehr aus!â Eddies Stimme kam gequält und wie gequetscht heraus. Seine Augen waren voller Tränen, die er zurückzuhalten versuchte. âTu etwas, Ravan, bitte!â
Irgendetwas stimmte ernsthaft nicht. Er sah wie ausgeblutet aus, und sein Gesicht und sein Hemd waren schweiÃnass. Es war schon unheimlich, dachte Ravan, wie er die Coutinhos, zumindest die jüngere Generation anzog, wenn es ihnen schlecht ging. Jetzt konnte er nur noch
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