Die Statisten - Roman
in Zweifel ziehen konnte.
âDie Vorhaut ist völlig wundgerieben, und Sie sagen, Sie hätten es nie getan. Habe ich Sie richtig verstanden?â
âIch schwörâs Ihnen, ich schwör, das ist die Wahrheit!â
âSoll ich das dann also so verstehen, dass Sie mit Männern Verkehr hatten?â
Oh, er hätte den Arzt erschlagen können, aber die Schmerzen brachten ihn um. Wie konnte er so etwas auch nur entfernt in Betracht ziehen? âAber ich bin Katholik, Herr Doktor! Homosexualität wird von der Kirche absolut nicht geduldet!â
âDann hatten Sie also keinen sexuellen Kontakt zu Männern.â Der Arzt legte eine Kunstpause ein, um den nächsten zwei Wörtern besonderen Nachdruck zu verleihen. âOder Frauen.â
âBei uns zu Hause gibt es nur meine Mutter, meine GroÃmutter und meine Schwester.â
âUnd die Knutschflecken an Ihrem Hals sind ganz von selbst erschienen, wie Stigmata, richtig?â
âJa. Ja, genau, Herr Doktor. So muss es passiert sein!â
âNa, dann ist ja alles in bester Ordnung. Sie können nach Hause gehen.â
Eddie war erleichtert, nach Hause gehen zu dürfen, aber natürlich nur mit einem Rezept für etwas Ultrawirksames, das seiner Qual ein Ende bereiten würde.
âSie können sich wieder anziehen und gehen.â
Als Eddie die FüÃe zaghaft auf den Boden setzte, bohrte sich ein Korkenzieher aus Schmerz in ihn hinein. Vielleicht hatte er sich ja verhört. Wie sonst konnte Dr. Bharucha ihn fortschicken, ohne ihn behandelt zu haben? Auch die Studenten schauten verdutzt drein.
âVerschreiben Sie mir denn nichts, Herr Doktor?â Eddies Stimme zitterte.
âWozu, Mr Coutinho? Da Sie keinen Geschlechtsverkehr hatten, können Sie sich auch nichts geholt haben. Es muss alles Einbildung sein.â
âTun Sie mir das nicht an, Herr Doktor, bitte! Der Schmerz bringt mich um! Es tut so weh, dass ich nicht mal pinkeln kann!â
âAber lügen können Sie noch ganz gut.â
Eddie brachte keine Antwort mehr heraus. Ihn hatte offenbar die Schwanzflosse eines Wals niedergestreckt. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem FuÃboden. Er versuchte, sich hochzustemmen, brach jedoch wieder zusammen. Einer der Studenten streckte die Hand aus, um ihm aufzuhelfen, aber der herzlose Arzt bedeutete ihm mit einem erhobenen Zeigefinger und ungerührter Miene, sich nicht einzumischen.
âIch gebâs ja zu, ich habe mit einer Frau geschlafen! Ich hab alles, absolut alles getan, was ich nicht hätte tun dürfen! Unternehmen Sie etwas, Herr Doktor! Bitte! Geben Sie mir etwas gegen diese fürchterlichen Schmerzen!â Mit Hilfe von ein paar Studenten hob ihn Dr. Bharucha hoch und legte ihn auf den Untersuchungstisch. Der Wal war offenbar zurückgekehrt, denn die Welt schwankte wieder um Eddie.
Dr. Bharucha wandte sich an den Assistenzarzt. âDer Mann gehört ins Bett.â
âTut mir leid. Die Venerologie ist vollkommen überfüllt, da ist nicht mal mehr auf dem FuÃboden Platz.â
âIch werde mit dem Verwaltungschef reden und zusehen, dass er in die Lungenabteilung aufgenommen wird. Er braucht sofortige Behandlung.â
Im J.J. Hospital war von 16.00 bis 19.00 Uhr Besuchszeit, und Ravan schaffte es gerade mit Müh und Not, um fünf vor sieben da zu sein. Als Eddie ihn sah, leuchtete sein Gesicht auf. Er war allerdings viel zu schwach, um sich aufzurichten, und auÃerdem hing er am Tropf. Er winkte Ravan matt heran.
âWie gehtâs, mein Freund? Ich hab dir ein wenig Obst mitgebracht.â Ravan stellte eine braune Papiertüte auf den Nachttisch und setzte sich zu Eddie aufs Bett. âFreundâ, das war ein Wort, das Eddie sich bis vor ein paar Tagen, vielleicht sogar noch gestern Abend, empört verbeten hätte. Jetzt griff er lediglich nach Ravans Hand.
âWas machen die Schmerzen?â
âKommen und gehen.â Seine Stimme war nicht sehr kräftig, und Ravan musste sich vorbeugen, um ihn zu verstehen. âMan braucht nicht in die Hölle, um für seine Sünden zu büÃen.â
Ravan hatte keine Ahnung gehabt, dass Schmerzen einen so schnell zum Philosophen machen konnten. Eines war klar: Die Schmerzen mussten extrem gewesen sein, denn Eddie sah bleich und aufgedunsen aus. Seine Augenränder waren rot, die Lippen trocken und rissig und sein Gesicht war aschfahl. âMeine Mutter
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