Die Statisten - Roman
spricht schon seit wer weià wie lange nicht mehr mit mir, aber wenn ich heute Abend nicht nach Hause komme, rastet sie aus. Dann geht sie zur Polizei, die sie nicht ausstehen kann. Und Belle lässt sich von mir scheiden, sobald sie von der Sache erfährt.â
Ravan hatte den Eindruck, dass Eddie anfing zu delirieren.
âIch wusste gar nicht, dass ihr verheiratet seid.â
âSind wir auch nicht. Aber jetzt verlässt sie mich bestimmt.â
Die Schwester kam, um Eddies Temperatur zu messen, und schnauzte Ravan an.
âRunter vom Bett! Und auÃerdem ist es schon nach sieben. Sie müssen gehen.â
âNur noch fünf Minuten, Schwesterâ, bettelte Eddie, als Ravan von seinem Bett aufstand. âBitte.â
âIhre Temperatur steigt, Mr Coutinho. Ich hole jetzt Dr. Bharuchas Assistenten. Wenn Ihr Freund dann immer noch da ist, ruft er den Wachmann und verbietet Ihnen, überhaupt noch Besuche zu empfangen.â
âKeine Sorge, Schwester, wenn der Assistenzarzt kommt, bin ich längst weg.â
âWie soll ich meiner Mutter noch ins Gesicht sehen? O Gott, Pater DâSouza wird mich exkommunizieren! Und was wird nur aus Pieta werden?â
Ravan tat sich schwer, mit Eddies verschiedenen Gedankensträngen Schritt zu halten. Und er stolperte über das Wort âexkommunizierenâ. Was immer es bedeuten mochte â es verhieà nichts Gutes. âWer soll denen schon erzählen, dass du im Krankenhaus bist?â
âDer Arzt sagt, ich muss wenigstens eine Woche hier bleiben.â
âIch kann deiner Mutter, sobald ich wieder zu Hause bin, ja erzählen, du musstest ganz kurzfristig zu einem siebentägigen Dreh für den ,Letzten Tango in Bombayâ aus der Stadt.â
âRavan, du bist ein Genie! Das ist eine glänzende Idee! Sie ist keine Frau. Sie ist der leibhaftige Teufel!â
âVon wem redest du? Deiner Mutter?â
âStell dich nicht blöd! Ich meine Sapna-ji.â
âWie kannst du über die Dame nur so reden!â Ravan schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. âSie ist eine Göttin, unsere Sapna-ji! Ein Traum von einem Mädchen, wie ihr Name bereits verrät. Wenn ich mich recht erinnere, Brando, wollte sie dir eine Rolle in dem Film beschaffen.â
âHalt die Klappe, du KlugscheiÃer. Du musst mir nicht auch noch Chilis ins Gewissen reiben!â Eddie schloss die Augen. âAber du hast recht. Ich verdiene es, alles, was du sagst. Und erzähl es bloà nicht weiter, meine Mutter kann eine ziemliche Pest sein.â
Die Krankenschwester kam wieder. âWas, Sie sind noch da?â
âNein, bin ich nicht. Das ist nur mein Schatten. Er ist sehr eigensinnig und folgt mir nicht immer. Bis morgen, Eddie.â
âSprich besser nicht mit meiner Mutter. Du weiÃt es vielleicht nicht, aber sie mag dich nicht besonders.â
Was du nicht sagst, dachte Ravan, da wäre ich nie drauf gekommen!
âVersuch es mit Pieta oder Oma.â
Bereits am dritten Tage kreischte Eddie nicht mehr jedes Mal das ganze Krankenhaus zusammen, wenn er pinkeln musste. Er war nach wie vor schwach, aber er spürte, dass er der Star der Station war. Alle schienen ihn zu kennen und verfolgten seine Besserung mit brennendem Interesse. In den Augen seiner Bettnachbarn war er eine exotische Kreatur. Er war keiner von ihnen. Er litt nicht an etwas so Einfallslosem wie Bronchitis, Asthma, Emphysem oder Lungenentzündung; er hatte etwas, auf das die Schwestern nur dunkel anspielten. Es war etwas Unaussprechliches, Namenloses, das sich nur mit zwei Anfangsbuchstaben umschreiben lieÃ: V.D. â venereal disease, Geschlechtskrankheit. Zu seiner Rechten lag der bebrillte Mr Sathe, der einen blechern kratzenden Husten hatte und sich ständig zu räuspern versuchte, als sei seine Kehle mit einer dünnen Membran von Kaugummi ausgekleidet. Das Bett zur Linken wurde vom zänkischen Mr Peter Alvares eingenommen, der der festen Ãberzeugung war, das Pflegepersonal sei dafür verantwortlich, dass er im Krankenhaus lag. Jedes Mal, wenn er eine Krankenschwester sah, rief er sie zu sich und beschwerte sich über das abscheuliche Essen, den klappernden Deckenventilator oder die anderen Patienten, deretwegen er vernachlässigt wurde; und überhaupt würden sie alle versuchen, ihn zu vergiften. Er habe Beweise, unwiderlegliche Beweise für die Mordversuche, die täglich
Weitere Kostenlose Bücher