Die Statisten - Roman
sich ohne Gefeilsche geeinigt. Dreihundert Rupien zuzüglich Fahrtkosten. Wenn er etwas taugte und die Geschäfte besser liefen, würde sie eine Gehaltserhöhung in Erwägung ziehen. War seinerseits noch etwas? Ja, schon.
âZurzeit hat meine Gruppe, die Bandra Bombshells, vier, höchstens fünf Auftritte im Monat, alle abends. Ich werde Ihnen immer rechtzeitig Bescheid geben. Und ich hole die versäumten Stunden nach, indem ich entweder am nächsten Tag früher komme oder am Sonntag arbeite.â
âAbends ist hier immer am meisten los. Fang erst mal an zu arbeiten, und wir schauen, wie du dich machst. Dann werden wir sehen, ob wir zu einer Einigung kommen.â
Eddie hätte es zwar ungern zugegeben, und Mrs Fernandes unterlieà es seltsamerweise meist, ihn daran zu erinnern, aber sonderlich gut hatte er sich nicht gemacht. Mrs Fernandesâ Kneipe war nicht gerade das beliebteste Auntie-Lokal im Viertel; weit entfernt davon. Das mochte mit ihrem chronisch kranken Ehemann zusammenhängen, wahrscheinlicher aber war, dass es an der Auntie selbst lag. Eddie hatte den Verdacht, dass die wichtigste Eigenschaft einer Auntie eine gesellige Natur war, die Fähigkeit, mit Leuten zu plaudern, Witze zu reiÃen, Geschichten zu erzählen; kurz, sie musste gesprächig und leutselig sein. Mrs Fernandes war viel zu still und ernst. Für sie sprach andererseits, dass sie eine verdammt gute Zuhörerin war. Nicht die Pseudo-Variante, sondern eine, die sich aufrichtig für das Leben und die Probleme ihrer Gäste interessierte. Sie unterbrach nie und äuÃerte, wenn man sie drängte, durchaus ihre Meinung, aber die klang immer wie ein Vorschlag, nie wie ein Werturteil.
Kishen Sippy war einer von Mrs Fernandesâ ältesten Stammgästen, und anders als dieses seltsame Gespann, Chatterjee und Krishnamurthy, die sich immer nur verschwörerisch über die unmittelbar bevorstehende Machtergreifung des Proletariats austauschten, während sie Schach spielten und literweise Stoff in sich hineinkippten, war Sippy ein Plauderer und galt als harmlos. Umso verblüffender, dass er für einen von Eddies seltenen Momenten widerstrebender Selbsterkenntnis verantwortlich war.
An dem Tag kreuzte Sippy schon am Nachmittag auf. Vielleicht war es die abnorm frühe Uhrzeit oder das ungewöhnliche Schweigen, das von ihm ausging, was bei Mrs Fernandes eine Alarmglocke läuten lieà â wenngleich man gerechterweise zugeben muss, dass sie einen sechsten Sinn dafür entwickelt hatte, potenziell gefährliche Stimmungswechsel zu erspüren, noch bevor der Betroffene selbst sich der langsamen oder lebhaften Veränderungen bewusst wurde, die in ihm abliefen.
âDas reicht. Keinen Alkohol mehr heute.â
âBockmist, Serena Fernandes.â
âIch habe Ihnen gesagt, heute gibtâs nichts mehr.â
âWarum, du Schlampe, zahl ich etwa nicht für diesen Fusel? Rückst du jetzt was raus, oder muss ich dir erst eine reinhauen?â
âIhre Drohungen ziehen nicht, Kishen Sippy.â Aus unerfindlichen Gründen war sich Eddie sicher, dass Mrs Fernandes nicht nur nicht bluffte, sondern dass sie in der Vergangenheit bereits Gelegenheit gehabt hatte, ein paar Kinnhaken unerschrocken einzustecken. âWissen Sie, warum ich Eddie Coutinho eingestellt habe, Sippy? Damit er sich um Ihresgleichen kümmert.â
Kishen Sippy warf Eddie einen abfälligen Blick zu. âLass ihn aus dem Spiel. Der ist noch ein Junge.â
âIch schlage vor, Sie gehen jetzt brav nach Haus, denn Mr Coutinho ist ein professioneller RausschmeiÃer, und Sie sollten sich besser nicht mit ihm anlegen.â
âNa dann los, Muskelmann, schmeià mich raus!â Noch während er die Herausforderung aussprach, hatte Kishen Sippy ihn angesprungen, zu Boden geschlagen und sich rittlings auf seine Brust gesetzt. Eddie war vom plötzlichen Angriff so entsetzt, dass er kaum Luft bekam.
âKämpf, Eddie, kämpf!â Mrs Fernandes versuchte, Eddie aus seiner Angststarre aufzuwecken. Doch damit erreichte sie lediglich, dass Kishen Sippy erst richtig Lust auf eine gute altmodische Prügelei bekam. Er bearbeitete den jungen Mann mit den Fäusten, entlud auf ihn Jahre aufgestauter Frustration und Wut. Chatterjee und Krishnamurthy spielten weiter Schach, ohne sich von dem Getümmel direkt neben ihrem Tisch stören zu lassen, vielleicht sogar ohne es
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