Die Statisten - Roman
Zeit lang wurde ihr beinahe jede Woche eine mit Nadeln gespickte Stoffpuppe vor die Haustür geworfen.
Sie hätten es besser wissen sollen. Parvati-bai war von jeher eine praktisch veranlagte Frau und hatte ohnehin keine Zeit, sich an ihren nachmittäglichen Klatschsitzungen zu beteiligen oder darüber zu tratschen, was ihre Männer im Bett machten oder nicht machten. Jetzt kämpfte sie um nichts weniger als das Ãberleben ihrer Familie und ihres kleinen Unternehmens. Sollte sie pleitegehen, würde keiner von diesen Maaiboli-Sangh-Leuten auch nur einen Paisa rausrücken, um sie zu unterstützen. GroÃe Töne spucken konnten sie nur, weil sie grundsätzlich in Horden auftraten. Es war fraglich, ob einer von denen es gewagt hätte, im Alleingang jemanden wie ihren Sohn anzugreifen. Sie vergaÃen, dass Druck Parvati nur noch sturer und eigensinniger machte.
Eines Morgens, zwei Wochen nach der Sangh-Episode, stieg Ravan in sein Taxi, das die ganze Nacht vor seinem Chawl geparkt hatte, und sah, als er den Rückspiegel einstellte, sein Gesicht. Er trug noch immer den Kopfverband, und obwohl er sich gewaschen und rasiert hatte, sah er ziemlich zwielichtig aus. Nein, er hätte nicht gewollt, dass seine Mutter zu einem Mann wie dem da im Spiegel ins Taxi stieg, und dabei konnte seine Mutter weià Gott auf sich aufpassen. Zum Glück hatte sie sich nie ein Taxi leisten können. In dem Moment stieg eine junge Frau ein und zog die Tür mit einem Knall zu. Ravan sah sie im Rückspiegel und ihm stockte der Atem. Pieta. Eddie Coutinhos Schwester Pieta. Sie sah, wie er sie verstohlen im Spiegel betrachtete, und sagte ungeduldig: âIch bin spät dran. Hören Sie auf, mich so anzugaffen, als hätten Sie ein Gespenst gesehen. Fahren Sie zu. Oder ich nehme ein anderes Taxi.â
Wusste sie nicht, wer er war? Begriff sie nicht, dass sie sich im feindlichen Lager befand? In der Höhle eben des Mannes, der, nach Ansicht ihrer Mutter, ihren Vater getötet hatte?
âJa, das ist eine gute Idee.â Ravans Stimme war ein klägliches Krächzen.
âHaben Sie sie nicht mehr alle? Schalten Sie das Taxameter ein und fahren Sie los!â Da erkannte sie ihn und riss die Augen auf. âWas machen Sie hier?â, fragte sie, schon halb wütend.
Ravan erinnerte sich an den bärtigen Fahrgast, der ihm zugeredet hatte, der Polizei das Geld zu zahlen, und ihm dann diesen Vortrag über Gänge gehalten hatte. Welchen Gang sollte er jetzt am besten einlegen? Etwas, was sie nicht weiter aufbringen, sondern beruhigen würde?
âEs tut mir leid, aber das ist mein Taxiâ, sagte Ravan flehentlich-schuldbewusst.
âUnd was ist das für ein Kopfputz, den Sie da aufhaben? Deswegen habe ich Sie nicht erkannt!â
âIch hab einen Schlag abbekommenâ, sagte Ravan verlegen.
âWirklich? Was haben Sie angestellt?â
Ravan lächelte verkniffen. Seine Mutter hatte ihn dasselbe gefragt. Wenn er verletzt war, egal wie schwer, musste es seine eigene Schuld gewesen sein. Er musste in eine Schlägerei geraten sein.
âDie Leute vom Sangh haben mich verprügelt und mir den Schädel eingeschlagen.â
âWarum? Warum tun die so was? Sie sind hier geboren und Sie sprechen Marathi.â
âAls ob das was ausmachen würde.â
âGenäht worden?â
âSechs Stiche.â
âTut mir leid.â
âMöchten Sie lieber ein anderes Taxi nehmen?â
âWarum?â
âWeil ich Ravan bin und Sie mich hassen.â Er sprach seinen Namen so aus, als müsste für jedermann offensichtlich sein, dass er noch unter der untersten Unterschicht rangierte.
âIch sitze schon in Ihrem Taxi. Fahren Sie mich zu meinem Büro. Es ist an der MG Road. Ich habâs eilig, aber ich möchte heil ankommen.â
Danach sagte sie nichts weiter und sah ihn auch nicht an, als sie bezahlte. Er hatte nichts anderes erwartet. Er sah ihr ohne Bedauern nach, ohne ein Gefühl von Verlust. Ihm war dieser Augenblick geschenkt worden â weit, weit mehr, als er sich je hätte erhoffen können. Es war nur recht und billig, dass sie anschlieÃend verschwand, um nie wieder seinen Weg zu kreuzen.
Wenn es jemals einen Tag in seinem Leben gegeben hatte, an dem er gern gestorben wäre, dann dieser. Sie war der Gedanke, den er nicht zu denken wagte, das Ideal, das er nur aus Sternenferne erstreben und bewundern konnte;
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