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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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Zeit lang wurde ihr beinahe jede Woche eine mit Nadeln gespickte Stoffpuppe vor die Haustür geworfen.
    Sie hätten es besser wissen sollen. Parvati-bai war von jeher eine praktisch veranlagte Frau und hatte ohnehin keine Zeit, sich an ihren nachmittäglichen Klatschsitzungen zu beteiligen oder darüber zu tratschen, was ihre Männer im Bett machten oder nicht machten. Jetzt kämpfte sie um nichts weniger als das Überleben ihrer Familie und ihres kleinen Unternehmens. Sollte sie pleitegehen, würde keiner von diesen Maaiboli-Sangh-Leuten auch nur einen Paisa rausrücken, um sie zu unterstützen. Große Töne spucken konnten sie nur, weil sie grundsätzlich in Horden auftraten. Es war fraglich, ob einer von denen es gewagt hätte, im Alleingang jemanden wie ihren Sohn anzugreifen. Sie vergaßen, dass Druck Parvati nur noch sturer und eigensinniger machte.
    Eines Morgens, zwei Wochen nach der Sangh-Episode, stieg Ravan in sein Taxi, das die ganze Nacht vor seinem Chawl geparkt hatte, und sah, als er den Rückspiegel einstellte, sein Gesicht. Er trug noch immer den Kopfverband, und obwohl er sich gewaschen und rasiert hatte, sah er ziemlich zwielichtig aus. Nein, er hätte nicht gewollt, dass seine Mutter zu einem Mann wie dem da im Spiegel ins Taxi stieg, und dabei konnte seine Mutter weiß Gott auf sich aufpassen. Zum Glück hatte sie sich nie ein Taxi leisten können. In dem Moment stieg eine junge Frau ein und zog die Tür mit einem Knall zu. Ravan sah sie im Rückspiegel und ihm stockte der Atem. Pieta. Eddie Coutinhos Schwester Pieta. Sie sah, wie er sie verstohlen im Spiegel betrachtete, und sagte ungeduldig: „Ich bin spät dran. Hören Sie auf, mich so anzugaffen, als hätten Sie ein Gespenst gesehen. Fahren Sie zu. Oder ich nehme ein anderes Taxi.“
    Wusste sie nicht, wer er war? Begriff sie nicht, dass sie sich im feindlichen Lager befand? In der Höhle eben des Mannes, der, nach Ansicht ihrer Mutter, ihren Vater getötet hatte?
    â€žJa, das ist eine gute Idee.“ Ravans Stimme war ein klägliches Krächzen.
    â€žHaben Sie sie nicht mehr alle? Schalten Sie das Taxameter ein und fahren Sie los!“ Da erkannte sie ihn und riss die Augen auf. „Was machen Sie hier?“, fragte sie, schon halb wütend.
    Ravan erinnerte sich an den bärtigen Fahrgast, der ihm zugeredet hatte, der Polizei das Geld zu zahlen, und ihm dann diesen Vortrag über Gänge gehalten hatte. Welchen Gang sollte er jetzt am besten einlegen? Etwas, was sie nicht weiter aufbringen, sondern beruhigen würde?
    â€žEs tut mir leid, aber das ist mein Taxi“, sagte Ravan flehentlich-schuldbewusst.
    â€žUnd was ist das für ein Kopfputz, den Sie da aufhaben? Deswegen habe ich Sie nicht erkannt!“
    â€žIch hab einen Schlag abbekommen“, sagte Ravan verlegen.
    â€žWirklich? Was haben Sie angestellt?“
    Ravan lächelte verkniffen. Seine Mutter hatte ihn dasselbe gefragt. Wenn er verletzt war, egal wie schwer, musste es seine eigene Schuld gewesen sein. Er musste in eine Schlägerei geraten sein.
    â€žDie Leute vom Sangh haben mich verprügelt und mir den Schädel eingeschlagen.“
    â€žWarum? Warum tun die so was? Sie sind hier geboren und Sie sprechen Marathi.“
    â€žAls ob das was ausmachen würde.“
    â€žGenäht worden?“
    â€žSechs Stiche.“
    â€žTut mir leid.“
    â€žMöchten Sie lieber ein anderes Taxi nehmen?“
    â€žWarum?“
    â€žWeil ich Ravan bin und Sie mich hassen.“ Er sprach seinen Namen so aus, als müsste für jedermann offensichtlich sein, dass er noch unter der untersten Unterschicht rangierte.
    â€žIch sitze schon in Ihrem Taxi. Fahren Sie mich zu meinem Büro. Es ist an der MG Road. Ich hab’s eilig, aber ich möchte heil ankommen.“
    Danach sagte sie nichts weiter und sah ihn auch nicht an, als sie bezahlte. Er hatte nichts anderes erwartet. Er sah ihr ohne Bedauern nach, ohne ein Gefühl von Verlust. Ihm war dieser Augenblick geschenkt worden – weit, weit mehr, als er sich je hätte erhoffen können. Es war nur recht und billig, dass sie anschließend verschwand, um nie wieder seinen Weg zu kreuzen.
    Wenn es jemals einen Tag in seinem Leben gegeben hatte, an dem er gern gestorben wäre, dann dieser. Sie war der Gedanke, den er nicht zu denken wagte, das Ideal, das er nur aus Sternenferne erstreben und bewundern konnte;

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