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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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mitbekommen, dass es vor zwei Wochen ein Raj-Kapoor-Festival gab? Natürlich kannte ich alle Filme schon, aber hey, wer würde sich die Chance entgehen lassen, sich Raj-sahabs Klassiker noch einmal anzusehen, richtig? Als ich aber diesmal ,Barsaat‘ und dann ,Awaara‘ sah, musste ich regelrecht kotzen. Seine Helden sind wie Wasserbüffel, die sich im schlammigen Sumpf des Selbstmitleids suhlen. Hört euch doch nur den Song ,Awaara hoon‘ an! Die Melodie mag ja toll sein, aber der Text ist ein einziges Geseire. Ach, ich Armer, ach, ich Armer ist der ständige Refrain.
    Jetzt hab ich einen Text für Raj-sahab. Er wird ihn zwar nie zu hören bekommen; aber ihr schon.
    Ro le, ro le
    Wein dir das Herz aus dem Leib,
    Na los, wein dir das Herz aus dem Leib!
    Nur zu, Schätzchen, wein dir das Herz aus dem Leib!
    Sanft, ach, ganz leise …

    Wein mir eine Pfütze,
    Wein mir einen Fluss.
    Weine mir einen Ozean
    Und die Sintflut dazu!

    Lass deine Wäsche
    In der Tränenflut waschen!
    Und nicht nur deine
    Die der ganzen Stadt!

    Wehe mir, ach, wehe mir!
    Tu dir doch selbst einen Gefallen:
    Wozu noch lange zögern,
    Mein armer kleiner Schatz?

    Schneid dir die Adern auf,
    Schlinge um den Hals,
    Verpass dir den Goldnen Schuss
    Oder mach Harakiri!
    Ro le, ro le
    Am nächsten Tag brachte Ravan die bulbul tarang mit.
    â€žWas ist los? Ich wusste gar nicht, dass du ein Musikinstrument spielen kannst!“
    â€žIch zupfe nur ein bisschen herum“, wiegelte Ravan verlegen ab. „Schau mal, ob du deinen Song wiedererkennst, Asmaan.“
    Am Anfang war er noch ein bisschen zittrig, aber schon bei der Wiederholung der ersten Strophe hatte sich seine Stimme gefestigt. Die Reime des Urdu-Textes und der Rhythmus waren so vollkommen miteinander verschmolzen, dass man unmöglich still sitzen konnte. Eddie griff sich einen leeren Farbeimer und startete eine zuckende, synkopierte Percussion-Begleitung, die Ravans Song mit Höllentempo vorantrieb. Asmaan saß ihnen mit einem Gesichtsausdruck gegenüber, als habe sie sich zu viel von irgendeiner Designer-Droge reingezogen und sei jetzt völlig zugeknallt. Sie sah hirngeschädigt aus, ihre Kinnlade hing herunter, und ihr Mund versuchte erfolglos, Luft zu schnappen. Einige Statisten hockten sich ins Gras und begannen im Takt zu klatschen. Der erste Regieassistent des Films, ClickClick Kapil, kam vom Set herübergeschlendert und fing an, getreu seinem Spitznamen, Ravan und Eddie bei ihrer Jam-Session zu knipsen.
    â€žUnd, was meinst du?“, fragte Ravan, als er mit dem Song fertig war. „Was ist los?“
    â€žDu hast meinen Song vertont?“
    â€žTut mir leid, ich hätte dich um Erlaubnis fragen müssen.“
    Asmaan stand auf, ging hinüber und nahm Ravan fest in die Arme. Sie war eher von der schmalen, drahtigen Sorte, aber sie stemmte Ravan, dem das schrecklich peinlich war, leibhaftig vom Boden.
    â€žDu hast meinen Song vertont?“, sagte sie noch einmal in ungläubigem Ton. „Sing es noch einmal. Bitte. Und du, Eddie, wieso hat mir keiner von euch beiden gesagt, dass ihr so gute Musiker seid?“
    â€žDas war in unserem früheren Leben. Jetzt wollen wir nur noch Schauspieler sein.“
    â€žSing meinen Song noch einmal. Bitte!“
    â€žAlle auf den Set!“, gellte das Scriptgirl über den Lautsprecher.

22
    Als Kind war Ravan fasziniert von der Flexibilität des dreidimensionalen Raums. Er konnte ihn manipulieren, formen und kneten, wie immer er wollte, als sei er aus Lehm. Anders als in den meisten Wohnungen in den CWD -Chawls, in denen durchweg sechs- bis vierzehnköpfige Familien hausten, wohnten in seiner nur drei Personen, ihn selbst eingeschlossen. Dennoch hatte er bisweilen das Gefühl, dass selbst drei zu viel waren. Zwar lag sein Vater meist reglos auf seinem Bett, doch schien er den gesamten Raum, jeden Kubikzentimeter davon einzunehmen. Also schloss Ravan einfach die Augen und blähte das Zimmer auf, bis der Himmel die Decke war und die Wände immer weiter zurücktraten und entschwebten, um schließlich hinter dem Horizont zu verschwinden. Er konnte sein Klassenzimmer in einen Globus oder eine Sanduhr verwandeln oder es wie einen Handschuh umstülpen. Wenn es draußen regnete und er für die Taekwondo-Stunde am nächsten Tag üben musste, schob er nur die Zimmerdecke beiseite und verwandelte sein Zuhause in eine geräumige offene Terrasse.

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