Die Statisten - Roman
zurückbleiben würde.
Die tote Frau seufzte kaum hörbar: âEs ist so weit.â
Sub-Inspector Mrs Joshi beugte sich hinunter und hielt das Ohr an die Brust der Liegenden.
âWas tun Sie mit ihr?â Eine kleine übergewichtige Frau versuchte den Sub-Inspector zur Seite zu schieben. âWagen sie es ja nicht, sie mit Ihren schmutzigen ungläubigen Händen zu berühren!â
âWürde bitte jemand der Frau das Maul stopfen, damit ich meinen Job erledigen kann? Jadhav, stehen Sie nicht einfach so rum! Rufen Sie einen Rettungswagen! Sie bekommt gleich ihr Kind!â
Die Geierinnen warfen die Hände gen Himmel, priesen Allah, umarmten sich und schossen teilnahmsvoll zu ihrer Freundin hinab. Alles war ein einziges freudiges Chaos. Die Fahrgäste der verschiedenen steckengebliebenen Busse strömten heraus und erkundigten sich nach der Frau. Sie fragten, wann das Baby erwartet würde und ob jemand bereits den Ehemann der Dame informiert habe.
Eddie hielt es für klug, nicht abzuwarten, bis klar wäre, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden würde.
Es kam Eddie so vor, als sei er immer nur am Warten. Darauf, dass seine Mutter ihm auseinandersetzte, welch eine groÃe Enttäuschung er war, oder ihm mitteilte, dass ihre Leiden sich jeglichem sprachlichen Ausdruck entzogen. Darauf, dass Pater Agnello DâSouza ihm die Beichte abnahm. Darauf, dass seine Schwester Pieta ihre frühere Rolle als anspruchslose und pflichtbewusste Ernährerin der Familie wieder aufnahm. Darauf, dass sich endlich ein Engagement ergab. Darauf, dass alles gut wurde. Darauf, dass er sich einen Namen in Hollywood machte. Vor allem aber wartete er in letzter Zeit ständig darauf, dass Braut und Bräutigam auf ihrer eigenen Hochzeitsfeier erschienen. Dass sie sich verspäten würden, unterlag für ihn nie einem Zweifel. Die Frage war nur, wie sehr. Zwanzig Minuten, eine Stunde, zwei Stunden?
Heute war es auch nicht anders, auÃer dass jetzt alle, einschlieÃlich der Braut, auf den Bräutigam warteten. Paul Monteiro Junior war zwar dabei beobachtet worden, wie er den Hochzeitssaal im fünften Stock der St. Sebastianâs School betrat, galt aber seitdem als vermisst. Paul Junior hielt den Weltrekord für die längste Verlobungszeit. Verlobt hatte er sich fünf Wochen, nachdem er Eddie losgeschickt hatte, um seiner Freundin Crystal mitzuteilen, dass sein Vater krank war und sie deshalb am Abend nicht in âRock Around the Clockâ würden gehen können. Aber da war noch etwas anderes, was Eddie für ihn erledigen musste. Er sollte zum Strand Cinema laufen und eine der zwei Eintrittskarten verkaufen. Die zweite Karte würde der Lohn für seine Mühen sein. Dieser Abend erwies sich als die schicksalhafteste Begebenheit auf Eddies musikalischer Reise. Doch all das lag schon zehn Jahre zurück.
Die beiden waren Freunde geworden, obwohl Monteiro Jr. viel älter als Eddie war. Paul hatte seine Hochzeit so oft verschoben, dass kein Mensch damit rechnete, dass er und Crystal sich an dem Abend ihr Jawort geben würden. Zu jedermanns Verblüffung hatte sich Paul diesmal weder auf Kopfschmerzen noch auf den Vietnamkrieg, die Kältewelle in Kaschmir, die Mondlandung oder die Kubakrise berufen, um der Trauung zu entgehen. Sowohl er als auch Crystal waren in der St. Sebastianâs Church erschienen und hatten ohne Wenn und Aber das Ehegelübde abgelegt. Doch jetzt war er unauffindbar.
âAber ich habe Paul doch erst vor zehn Minuten gesehen!â Mrs Monteiro die Ãltere sagte das bereits seit einer halben Stunde. âEr wollte ins Bad, um sich frisch zu machen und seine Krawatte zu richten. Wo könnte er nur hingegangen sein?â
Crystal hatte den Kopf in Eddies Schulter vergraben und weinte ausgiebig. Belle kam mit dringlicher Miene hinzu. âDu machst das ganz ausgezeichnet, Schätzchenâ, flüsterte sie Eddie leise ins Ohr. âStreichel sie noch ein bisschen mehr. Wenn Paul sich nicht wieder einfindet, wird ihr heute Nacht irgendjemand Gesellschaft leisten müssen!â
âEr muss immer noch im Bad sein, wo sonst?â An Paul Seniors Logik war nicht zu rütteln.
âIch habe mehrmals nachgeschautâ, erklärte Eddie. âDort ist er nicht.â
âEr ist nach Hause gegangen. Da bin ich mir sicher.â Pater Agnello fühlte sich besonders dazu befähigt, Pauls Verbleib zu
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