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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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Dame hofiert, die zufällig die Mutter der Braut war, nein, Mr Patil, ganz und gar nicht, er sei ein anständiger, gottesfürchtiger Mann, der ihn, Mr Patil, zudem noch mehr fürchte als Gott. Er habe sich nur vor Begeisterung überschlagen über Navares Saxophonflug in unbekannte Welten. Gewiss sei auch er, Mr Patil, von diesem überirdischen Riff hingerissen gewesen, denn er habe auf den ersten Blick erkennen können, dass er ein wirklicher Musikkenner sei. Warum sonst hätte er die Cum September Band eigens aus Bombay herbeiholen lassen?
    Der Patriarch war gegen Ravans Gebettel immun. Ravan fiel auf die Knie, klammerte sich an Mr Patils Bein. „Ich schwöre bei der Göttin Bhavani , er ist blind. Fast völlig blind. Schauen Sie sich nur seine Brillengläser an, wenn Sie mir nicht glauben!“
    â€žWas für Brillengläser?“, fragte Mr Patil verächtlich. „Ich sehe keine Brille.“
    â€žWas ist eigentlich los?“ Kamble versuchte noch immer, das Blut von seiner Hand abzuschütteln.
    â€žHalt die Klappe und hol deine Brille raus!“, sagte Ravan barsch. „Mr Patil will sie sehen.“
    Kambles Ohren glühten vor Wut. Seine Zunge schmeckte nach Asche, sein Hirn war halb verkohlt. Wie konnte dieser unsensible Emporkömmling mit einem so verachtenswerten Namen wie „Ravan“ es wagen, einen Künstler wie ihn zu beleidigen? Wo blieb der Blitz, ihn zu erschlagen?
    â€žWas für eine Brille?“, fragte Kamble unschuldig.
    Ravan packte Kamble an der Hemdbrust, ehe Mr Patil etwas Überstürztes tat. „Hör auf zu diskutieren, Kamble! Setz einfach deine Brille auf!“
    â€žDie brauch ich doch gar nicht. Ich wusste, dass du mich zwingen wirst, sie aufzusetzen. Deswegen habe ich sie in Bombay gelassen.“
    â€žBlind?“, unterbrach Mr Patil. „Hat seine Brille in Bombay gelassen? Sonst noch was? Ich habe genug von diesem Blödsinn! Es geht hier um unsere izzat . Um die Ehre meiner Familie. Niemand rührt meine Frau an, ohne dafür mit seinem Leben zu bezahlen!“
    Kamble gab Mrs Patil einen Klaps auf den Rücken. „Sag doch, Navare, was soll der ganze Aufstand?“, fragte er mit einem Bühnenflüstern. „Warum regt sich Mr Patil so auf?“
    Der Patriarch verlor die Beherrschung. Er rammte die Faust in Kambles Gesicht und streckte ihn zu Boden. Aber es war offensichtlich, dass der alte Herr sich seiner Sache nicht mehr sicher war. „Entweder ist dieser Mann ein gemeingefährlicher Narr und spielt mit dem Feuer. Oder er ist wirklich blind. Das werden wir später untersuchen.“
    Es hatte keinen Sinn, Risiken einzugehen. Ravan besorgte sich ein Seil, band es an Kambles Arm und befestigte das andere Ende mit doppeltem Knoten am Bein des Xylophonständers.

    Ravan klemmte seinen Kopf zwischen die Knie und ließ jede Hoffnung fahren. Seine Verzweiflung war grenzenlos und abgrundtief. Er war eingeladen, ausdrücklich eingeladen worden, und zwar von keiner anderen als der Braut. Ja, Sita wollte Ravan in ihrem Hochzeitsbett haben. Er hatte noch nie eine nackte Frauenbrust gesehen, nie Brustwarzen liebkost, nie Sex gehabt; ehrlich gesagt, er wusste nicht einmal genau, wie die Sache vonstatten ging. Er hatte nie eine andere als Pieta geliebt, aber Pieta war für ihn immer unerreichbar gewesen. Sita dagegen wartete auf ihn – und Gott allein wusste, wie lange sie das noch tun würde. Das Himmelstor stand ihm offen – wenn diese besoffenen Hochzeitsgäste nur tot umfallen und ihn hineinlassen würden! Er legte sich hin. Verdammt noch mal, die Braut wollte ihn haben! Hatten die etwa vor, ihr ausgerechnet in ihrer Hochzeitsnacht einen Wunsch abzuschlagen? Er hatte mit ihr die wichtigste Verabredung seines Lebens; er war mehr als bereit, sämtliche Leute auf der Terrasse zu ermorden, wenn sie sich nicht augenblicklich schlafen legten.
    Wie Ravan allmählich dämmerte, hatte das Schicksal entschieden, dass sie niemals die Seine sein würde.
    Eine Frauenstimme weckte ihn. Sie sang ein Lied von Einsamkeit, Sehnsucht und Verzweiflung. „Yeh raat kitni tamannayein laayi hai; ghazab khuda ka, sitamgar ko nind aayi hai.“ „Wie viele Wünsche hat diese Nacht geweckt! Und doch, bei Gott, ist mein Peiniger eingeschlafen!“ Es lag so viel Pein und Sehnen in dieser Stimme, dass Ravan fast nicht merkte, wie tonrein sie war. Die Sängerin trug das Lied

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