Die Statisten - Roman
ihnen heraussaugen. Dann hielt er plötzlich inne.
âWas ist los?â, fragte Sita ungeduldig.
Ravan schluckte. Er schaute sich im Zimmer um, sah Sitas Mann an, die Deckenbalken, sah überall hin, nur nicht auf sie.
âUnd was jetzt?â
Sita platzte los. Sie hatte ein perlendes Lachen, das in mehreren ansteigenden Wellen aus ihr herauskam.
âWas ist so lustig?â, fragte Ravan verwirrt. Das schien sie nur noch mehr zu amüsieren.
âWas ist los?â
Ihr langes offenes Haar fiel ihr über das Gesicht. Sie setzte sich auf und nahm Ravans Gesicht in die Hände und küsste ihn auf die Lippen.
â He Ram ! WeiÃt du nicht mal, was wo reingehört?â Wieder dieses trillernde Lachen. âDu hast wirklich keine Ahnung, was, mein jungfräulicher Ravan? Ich werde dich unterrichten. Ich werd dir Dinge beibringen, die du in keinem Buch findest, nicht mal im Kamasutra!â
Die Hähne krähten die ganze Nacht, während Ravan seine Unschuld verlor und anschlieÃend mit Sita alles bis dahin Versäumte immer und immer wieder nachholte. Sita hielt Wort. Sie war eine geduldige Lehrmeisterin, sie lachte oft, und Ravan erwies sich als ein begeisterter und begabter Schüler. Er wünschte sich, die Nacht würde niemals enden. Und er wollte Sita nie wieder verlassen.
Sita riss das Fenster auf und hob den Kopf. Ihre rechte Hand reckte sich gen Himmel, und deren Zwilling streckte sich spiegelbildlich nach hinten aus, und mit einer vor Empfindung zitternden Stimme sagte sie: âStrecke mich nieder, oh güldnes Gestirn!â Ravan schaute nach drauÃen. Keine Ahnung, was Sita meinte, drauÃen war es noch stockdunkel. âStrecke mich nieder, du Ãberwinder der Finsternis, wenn meine Zunge nur eine unwahre Silbe ausspricht! So wahr die Sterne und der Mond meine Zeugen sind, gebe ich Ravan Pawar meinen Leib und meine Seele hin, auf dass er sie in alle Ewigkeit behalten und genieÃen möge! Ich wurde wiedergeboren und weihe mich Sarasvati , der Göttin der Künste!â
Ravan durchfuhr ein Zittern. Er bekam eine Gänsehaut, und die Haare auf seiner Kopfhaut sträubten sich wie Nadeln. Es gab ein Marathi-Lied, das er gerne sang, dessen Bedeutung er aber all die Jahre nicht verstanden hatte. âBola, amrut bola!â Wörtlich: âSprich, sprich Ambrosia!â Jetzt wusste Ravan, was diese Worte bedeuteten. Ja, er hatte wahrhaft die Musik der Unsterblichen gehört. Dies war kein Erdenmensch; sie war eine apsara , ein mit göttlicher Zunge gesegnetes himmlisches Wesen!
Sita war in voller Fahrt. Ihre Zunge war die heilige Ganga, der Fluss, der aus Shivas wirren Dreadlocks hervorströmte. âIch wurde zu einer Sängerin geboren, einer groÃen Künstlerin, Ravan. Schau in mich hinein, und du wirst feststellen, dass wir Seelenverwandte sind. Wir sind füreinander geschaffen!â Nun ergoss sich, ohne Punkt und Komma, eine Kaskade von Wenn-Sätzen aus ihr, die jeden Hindi-Film-Texter beschämt hätte. âWenn du die Muse bist, bin ich die Musik; wenn du der Sänger bist, bin ich das Lied; wenn du die Sonne bist, bin ich das Sonnenlicht; wenn du die Seele bist, bin ich der Körper; wenn du der Träumer bist, bin ich der Traum! Führ mich fort von hier, Ravan! Verlasse mich nicht, so wie du es vor zweitausend Jahren tatest! Ich ersticke hier. Sie haben mich mit einem Mann verheiratet, mit dem ich nichts gemein habe. Wir haben keinerlei gemeinsame Interessen, weder die Musik noch die anderen höheren Dinge im Leben. Alles, was ich will, alles, worum ich bitte, alles, wonach ich verlange, ist, frei wie ein Vogel zu sein und mit dir in den blauen Himmel zu fliegen! Befreie mich, Ravan! Nimm mich morgen von hier fort!
Ich werde die Sängerin der Cum September Band sein. Wir werden die einzige Hochzeitsband des Landes mit einer Sängerin sein. Du wirst komponieren, und ich werde deinen Liedern ewiges Leben einhauchen! Wir werden weltberühmt! Ich werde deine Lata Mangeshkar sein, oh du mein Mohammed Rafi! Wir werden durch unsere Kunst unsterblich werden!
Sag meinem tyrannischen Vater und Gajanan, diesem Sadisten von einem Bruder, dass du ihnen nicht gestatten wirst, mich länger zu martern! Eher würde ich mich ins Feuer stürzen als zusehen, dass weiter auf meinem künstlerischen Empfinden herumgetrampelt wird!
Nimm mich, Ravan! Mach mich zur Sängerin in deiner Band!â
Welch erhabene
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