Die Statisten - Roman
Er sah einen mit einem kalten Blick an, bei dem man ganz kribbelig wurde und sich fragte, was ihm durch den Kopf gehen mochte.
âDieser Mann ist nicht käuflich, Vater. Er ist stark und unerschütterlich wie der Polarstern.â
âSie geben mir also Sita zurück?â, fragte Ravan selbstgefällig.
Mr Patil setzte sich auf die Motorhaube des Jeeps. âTut mir leid, aber ich beabsichtige nicht, das Ramayana umzuschreiben und meine einzige Tochter statt Ram diesem verächtlichen Erzschurken Ravan zu überlassen.â
âWenn es so ist, werde ich dem Bräutigam und seinen Eltern alles erzählen!â Ravans Stimme schwoll theatralisch an. âIch werde es der ganzen Welt erzählen!â
âKorrektur, er hat nur ein Elternteil, seine Mutter. Sein Vater ist schon vor langer Zeit gestorben. Nicht gerade der Hellste, aber er ist ein guter Junge. Hört auf seine Mutter. Er hat vier Schwestern. Aber das tut alles nichts zur Sache, Ravan-sahab.â Mr Patil legte Ravan eine väterliche Hand auf die Schulter. âIch werde Sie in ein kleines Geheimnis einweihen. Unsere Sita hat schon immer den Männern die Köpfe verdreht. Schon als kleines Kind.
Erinnern Sie sich an die Bioskope? In die man als Kind hineinschaute, das Messing-Okular in beide Hände nahm und eine Besichtigungstour durch Agra, London und New York geboten bekam? Und wer könnte das Püppchen oben auf dem Bioskop vergessen? Sie hielt zwei winzige Becken in den Händen. Jedes Mal, wenn sie die Hände zusammenschlug und die Becken klirrten, ging ihr Rock hoch. Das ist meine Sita. Sie sieht einen Mann, und ihr Rock geht hoch.â
âSie lügen!â Ravan war den Tränen nahe.
âGestatten Sie mir, Ihnen noch etwas mehr über die Vergangenheit meiner lieben Sita zu erzählen.â Der alte Mann sprach in einem Ton, als schüttete er Ravan sein Herz aus. âZwischen ihrem vierzehnten und neunzehnten Lebensjahr wurde sie fast jedes Jahr schwanger. Sie war immer bereit, das Baby zu bekommen, aber wir waren von den jeweiligen Vätern nicht sonderlich begeistert und haben jedes Mal für eine Abtreibung gesorgt.â
âDie folgenden anderthalb Jahre haben wir sie scharf im Auge behaltenâ, Gajanans Mund verhärtete sich, ânicht einmal eine Fliege gelangte ohne unsere Erlaubnis in ihr Zimmer.â
âAber unsere Sita ist eine findige Person.â Jetzt hatte sich ein Ton der Bewunderung in die Stimme des alten Mannes eingeschlichen. âJa, sie ist wirklich eine Nummer für sich. Dieses Mal merkte es selbst ihre Mutter erst, als sie im dritten Monat war.â
âVersuchen Sie mal, für ein gefallenes Mädchen einen Mann zu finden! Besonders, wenn sie aus guter Familie istâ, warf Gajanan ein. âWir hatten es beinahe schon aufgegeben, stimmtâs, Vater? Und dann haben die Götter uns zugelächelt. Die Mutter des Bräutigams ist eine verständnisvolle Frau. Vier Töchter, kein Mann, kein Geld und ein guter Familienname können eine Frau sehr verständnisvoll, sehr vernünftig machen.â
âSie haben Sita angenommen, haben sie umarmt, als gehörte sie schon zur Familie. Es hat uns lediglich achtzigtausend gekostet, plus fünfzigtausend an weiteren Ausgaben, einschlieÃlich Ihrer Gage. Und jetzt wollen Sie Sita haben. Sonst â¦â Mr Patil lieà den Satz unvollendet in der Luft hängen.
âSonstâ, nahm Gajanan den Faden auf, âerzählen Sie alles Sitas Mann und Schwiegermutter, liefern ihnen einen detaillierten Bericht von Sitas Hochzeitsnacht.â
Ravan sah Mr Patil an, diese Ikone von Reichtum und Macht. Gerade mal vierundzwanzig Stunden zuvor hatte er beschlossen, seine Gunst zu gewinnen. Dieser Auftritt würde die Geschicke der Cum September Band zum Guten wenden. Er würde einen Neuanfang darstellen. Er hatte es fast geschafft, trotz all der unvorstellbaren Kalamitäten, die in Gestalt eines für die Jahreszeit ungewöhnlichen Gewitters, eines lädierten Xylophons und Kambles Possen über ihn hereingebrochen waren. Das Publikum, ganz zu schweigen von der Braut selbst, hatte zu seiner Musik gerockt. Und dann war das Unerwartete und Unmögliche geschehen. Er hatte um ein Haar die Braut gekriegt. Und dazu eine Sängerin. Vielleicht hätte Mr Patil ihn mit der Zeit als Schwiegersohn akzeptiert, und dann wäre Ravans Stern geradewegs zum Zenit
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