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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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britischen Tante in Canterury oder Birmingham ganz unerwartet ein Vermögen geerbt hatte, spielte keine Rolle. Das hätte nur noch deutlicher gemacht, wie eigensüchtig er war. Und das konnte er momentan nicht brauchen. Heute Nacht wollte er nur allein sein, im Freien, um die Gewaltigkeit dessen, was gerade geschehen war, dieses sein Leben verändernde Ereignis, das bislang lediglich wie ein kurzes Echozeichen auf dem Radarschirm seines Bewusstseins aufgeleuchtet war, in sich aufzunehmen und zu verarbeiten. Der einzige Ort, der ihm dafür geeignet schien, war das Meer – nicht die dreckige Pfütze mit den schlierenden perlmuttfarbenen Ölflecken an der Dockyard Road, nicht weit von seinem Chawl, sondern die See am Marine Drive. Er wusste, dass es nicht ein einziges, durchgehendes Gewässer war, sondern verschiedene, miteinander verbundene Meere und Ozeane, die bis zur Pazifikküste reichten, wo Hollywood lag. Er war bereit, bereit die Meere zu teilen und seine Bestimmung zu suchen.

    Eddie hatte eine präzise Vorstellung davon, wie er aussehen wollte, wenn er Hollywood erreichen würde. Er hatte aus einem Hochglanzmagazin, das Pieta von der Firma mit nach Hause gebracht hatte, ein Foto von Elvis herausgerissen. Der King trug eine weit ausgestellte weiße Schlaghose und eine kurze weiße Jacke mit üppigen Gold- und Silberstickereien an den Schultern. Dieses Bild des größten Rock-’n’-Roll-Stars aller Zeiten zeigte Eddie Mr D’Mello, dem Schneider, der im Parterre von Chawl Nr. 27 wohnte und auf dessen Schild das „M“ im Namen von zwei auf dem Kopf stehenden gespreizten Scheren gebildet wurde, und legte ihm sein Anliegen dar.
    â€žIch will es exakt so haben. Keine einzige Veränderung. Nein, nicht die winzigste Variation. Ich will nichts Originelles. Nur eine exakte Kopie, kapiert? Comprende, amigo?“ Neuerdings liebte es Eddie, sein Englisch mit Brocken von Trini-„Lemon Tree“-Lopez-Spanisch zu versetzen, auch wenn die sich bereits in „comprende“ und „amigo“ erschöpften.
    Er brauchte sieben Anproben für den Anzug. Der Kragen war einen Millimeter zu breit; die Hosenumschläge waren nicht lang genug; der Schritt hing zu tief, Herrgott nochmal, was haben Sie da gemacht, glauben Sie vielleicht, ich hätte Straußeneier; irgendwas stimmte nicht, die linke Schulter der Jacke rutschte und saß nicht recht. Als Eddie ihm beim siebten Mal anfing zu erklären, die Knöpfe an der Jacke wären eine Spur aus dem Lot, holte Mr D’Mello eine Schere hervor.
    â€žSagen Sie mir einfach, was mit diesem Anzug alles nicht stimmt, Coutinho. Alles auf einen Schlag. Ich schneide alles, was nicht stimmt, mit dieser wunderschönen deutschen Schere aus Solinger Stahl raus. Und Sie haben einen brandneuen Anzug.“
    â€žWas soll das heißen, rausschneiden?“
    â€žDas rechte Schulterpolster ist viel zu dick, nicht? Ist gleich erledigt. Soll ich Ihnen zeigen, wie?“ Die lange blanke Solinger Schere wollte gerade den ganzen rechten Ärmel abschneiden, als Eddie kreischte: „Was machen Sie da?“
    â€žDas Problem lösen, mein Freund, ein für alle Mal.“
    â€žIch warne Sie, D’Mello, dann kriegen Sie kein Geld!“
    â€žIst schon okay. Und Sie kriegen keinen Presley-Anzug.“

    Eddie streifte sich die schwarzen Socken über die Knöchel, zog den Reißverschluss seiner funkelnagelneuen Hose mit den sternenbesprenkelten Schlägen hoch, stopfte sich das Hemd in den Bund, schwang die bestickte Jacke wie die Capa eines Matadors durch die Luft und schlüpfte mit seinen langen Armen hinein. Er stand vor dem Spiegel, in dem Violets Kundinnen überprüften, ob das Ergebnis ihrer Arbeit den Erwartungen entsprach; ob der Saum, der Kragen, die Puffärmel, der hautenge Sitz über den BH -Körbchen, der Fall des Stoffs genau so waren, wie es sich gehörte.
    Was er sah, gefiel ihm. Er fand den Typen im Spiegel so gutaussehend, dass er kein Auge von ihm wenden konnte. Wow, oh wow, sah Eddie gut aus! Und jetzt die letzten Feinheiten. Er strich sich das pomadisierte Haar zurück und machte sich daran, einen verblüffenden Vorbau zu modellieren. Man konnte den Bewegungen des Kamms kaum folgen, mit denen er sein Haar zu einer Welle formte, die jäh immer höher und höher stieg, wider alle Gesetze der Schwerkraft in der Schwebe blieb, bis man hätte schwören

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