Die Statisten - Roman
über die hintere Sitzbank von Ravans Taxi übergeben und dann einen Schwenk gemacht und Fensterscheibe und Tür mit weiteren reichhaltigen Ergüssen besprüht hätte? Wäre Ravans Lebensweg anders verlaufen, vielleicht diametral entgegengesetzt, falls eine solche Richtung im Leben überhaupt existiert? Erst später sollte Ravan die Tragweite der Wahl erkennen, vor die er gestellt worden war. In dem Moment hatte er keine Ahnung, dass die schlichte Tatsache eines sich in seinem Taxi übergebenden Fahrgasts eine Kette von Ereignissen auslösen könnte, die sein ganzes Leben beeinflussen würde. Was, wenn er sich geweigert hätte, den Fahrgast aufzunehmen? Was, wenn er den Mann gezwungen hätte, die Schweinerei selbst zu beseitigen? âWas, wennâ ⦠gibt es etwas Stupideres und Nutzloseres im Universum als diese zwei Worte? Und dennoch â welche Freude bieten sie dem spekulativ Veranlagten! Sie sind die einzige Möglichkeit, wie der Mensch Gott spielen und einen Augenblick lang glauben kann, er könnte das Schicksal verändern und die Kontrolle über sein Leben übernehmen.
Ravan war vom Kotzgestank völlig wirr im Kopf. Niemand würde in sein Taxi einsteigen, solange es innen mit halb verdauten Speiseresten, Ãberstunden schiebenden Magenenzymen und einem halben Liter Whisky bespritzt war. Er musste die Sauerei aufwischen, aber wo sollte er das Wasser dazu hernehmen? Ihm fielen beim besten Willen keine öffentlichen Zapfstellen in der Umgebung ein â oder sonst irgendwo in der City. Es gab zwar den Parsi-Brunnen in der Nähe der Flora Fountain, aber der war nur für Parsen bestimmt. Die würden ihm nicht erlauben, Wasser aus ihrem heiligen Brunnen zu schöpfen.
Das Meer war immer in Reichweite, aber versuch mal, auf einem dieser riesigen Betontetrapoden zu balancieren und dann einen Eimer runterzulassen â und überhaupt, wo war der Eimer? Er fuhr nach Hause, borgte sich einen von seiner Mutter und stieg wieder die Treppe hinunter. Zur Abwechslung einmal hatte er Glück, der städtische Hahn führte Wasser, und in höchstens zehn Minuten würde auch die letzte der Schlange stehenden Hausfrauen ihren Tagesbedarf abgefüllt haben und der Hahn ihm gehören. Er kippte einen Eimer Wasser nach dem anderen in den Wagen, schrubbte die Sitze, Türen und Fenster mit Kokosbast und Asche ab, spülte noch einmal nach und rieb dann die Sitze und den FuÃboden mit einem Lappen trocken. Den Rest würde der Fahrtwind erledigen.
Es würde nicht leicht werden, dem Geschäftsführer des Taxiunternehmens die verlorene Stunde und den geringeren Tagesumsatz zu erklären. Er stieg ein und zog die Tür zu. Und stieg gleich wieder aus. Im Wageninneren roch es immer noch widerlich. Es gab nur eine Möglichkeit. Er ging in die nächste Drogerie, kaufte eine kleine Flasche Desinfektionsmittel und wischte alles mit der stark antiseptisch riechenden Flüssigkeit noch einmal ab.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er jetzt würde herumfahren müssen, bis ihn jemand anhielt. Das bevorzugte Beförderungsmittel der Leute aus den CWD -Chawls und der Gegend um die Dockyard Road waren die eigenen FüÃe. Beziehungsweise, wenn sie es eilig hatten, der BEST -Bus oder der Nahverkehrszug. Aber heute war sein Glückstag.
âSassoon Docksâ, sagte ein Mann von etwa Mitte dreiÃig und stieg ein, gerade als Ravan losfahren wollte.
âUnd zwar schnell.â Ravan hörte dieses Wort wenigstens ein Dutzend Mal am Tag. Der Fahrgast hatte sich zu einer Verabredung verspätet, er musste einen Zug oder einen Flug erwischen oder er hatte vergessen, den Herd abzustellen, und wenn er nicht in den nächsten fünf Minuten zu Hause war, würde die Gasflasche explodieren und das ganze Gebäude in Flammen aufgehen. Warum zum Teufel gingen sie nicht einfach ein bisschen früher aus dem Haus oder dachten daran, den Herd auszudrehen, wenn sie doch wussten, dass das hier Bombay war, wo der Verkehr sich mindestens neunzehn Stunden am Tag staute?
âWie soll ich bei dem Verkehr schnell fahren, Sahab?â
âTuâs einfach!â Der Mann sah sich ständig um, als habe er etwas zurückgelassen. Ravan ignorierte die Anweisungen seines Fahrgastes. Er würde ganz gewiss keine rote Ampel überfahren und sich einen Strafzettel einhandeln. âWas ist das für ein Geruch? Ist das hier ein Taxi oder ein
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