Die Staufer und ihre Zeit
als Friedrich und Konstanze zurück ins Königreich Sizilien eilen, um unter anderem jene Barone zur Räson zu bringen, die die lange Zeit der »Königsferne« genutzt haben, um sich einigen Verpflichtungen gegenüber dem Reich zu entziehen oder gar Reichsgut zu ergattern. Recht und Gesetz sollten endlich die Bedeutung gewinnen, ohne die ein innerer Friede in diesem streitsüchtigen Landstrich kaum möglich scheint. Friedrich verbietet gewalttätige Fehden, sogar das öffentliche Tragen von Waffen wie Dolch, Schwert, Spieß, Harnisch, Schild, Eisenkeule – Ritter und Reisende sind ausgenommen. Das gotteslästerliche Fluchen beim Würfelspiel lässt er untersagen. Wer trotzdem flucht, wird hart bestraft: ein Graf mit zwei Jahren Verbannung, ein Baron mit drei, ein Ritter mit sechs, ein edler Bürger mit acht Jahren. Einfache Bürger und Landleute verlieren die Zunge.
Während des überraschend friedlichen Intermezzos eines vom Papst nicht autorisierten Kreuzzugs ins Heilige Land, bei
dem Friedrich sich 1229 zum König von Jerusalem krönt, mit dem Sultan von Kairo ohne jede Kriegshandlung geschickt einen zehnjährigen Waffenstillstand aushandelt und die Überlassung des christlichen Teils von Jerusalem erreicht, ist in Süditalien die alte Unordnung zu neuem Leben erwacht. Soldaten und Anhänger des Papstes sorgen, angefeuert von Hetzparolen gegen den »Schüler Mohammeds«, dafür, dass viele Städte, sogar sein Stammsitz Foggia, ihm den Treueeid aufkündigen.
Mit Süditalienern und Deutschen, die ihm noch vom Kreuzzug verblieben sind, vor allem aber mit 15 000 sarazenischen Kämpfern schlägt Friedrich die Päpstlichen in die Flucht. Seine Politik ist zukunftweisend, weit über das Mittelalter hinaus. Wie kaum ein Herrscher zuvor begreift er die »staatliche Verantwortung für das äußere Wohl und das Recht der Untertanen« (Friedrich-Biograf Wolfgang Stürner). So werden schließlich, 1231, die berühmten »Konstitutionen von Melfi« formuliert, ein imposantes Konvolut von 219 Einzelgesetzen in drei Büchern.
Etliche dieser Gesetze, mit denen Friedrich einem kirchenrechtlichen Vorstoß des Vatikans zuvorkommt, sind faktisch seit normannischer Zeit gültig; zum Beispiel hat schon König Wilhelm, Friedrichs Onkel, verfügt, was jetzt noch einmal festgeschrieben wird: Es »sollen auch die unglücklichen Weiber, welche in dem schändlichen Gewerbe der Unzucht ihr Geld verdienen, sich unseres Wohlwollens erfreuen in der frohen Empfindung, dass niemand sie gegen ihren Willen nötigen darf, seine Lust zu befriedigen«.
Erstaunlich hart ist die Anweisung Friedrichs gegen Korruption: »Staatsbeamte oder Richter, die zur Zeit ihrer Amtstätigkeit öffentliche Gelder heimlich beiseite geschafft haben, werden mit dem Tode bestraft.« Das »Staatsverbrechen« der Bestechung wird mit hoher Geldstrafe geahndet. Außerdem
wird angeordnet, dass Ärzte eine Prüfung an der medizinischen Hochschule in Salerno bestehen müssen; es gibt sogar Vorschriften zur Reinhaltung der Luft und der Tiefe der Grabstätten.
Mit solcher Ratio ist das Verbot, vom »katholischen Glauben« abzufallen – den »Abtrünnigen« wird »ihr ganzes Vermögen« entzogen –, kaum zu vereinbaren, erst recht nicht das Verdikt, den christlichen Glauben »unverkennbar zu beschimpfen« – darauf steht die Todesstrafe. Für diese Gesetze gibt es vor allem politische Gründe: »Wer die göttliche Ordnung in Zweifel zog und gegen sie agierte, griff die gottgewollte Majestät des Kaisers an«, so der Historiker Ekkehart Rotter in seiner Biografie »Friedrich II. von Hohenstaufen«. Häresie ist Hochverrat. In dem Gesetz steckt indirekt die Anmaßung, der Kaiser sei so unmittelbar Gott zugeordnet wie der Papst. Dennoch soll dieser fromm wirkende Paragraf wohl auch den Papst besänftigen.
Diese erste umfassende mittelalterliche Kodifizierung von Rechten und Pflichten bleibt bis ins 19. Jahrhundert in Süditalien mehr oder weniger gültig und ist bis heute, neben dem römischen Recht, der Inbegriff einer rational um »Grundsätze der Gerechtigkeit« (Friedrich II.) bemühten, allerdings stark zentralisierten Staatsverwaltung. In ihr muss selbst der oberste Herrscher dem Gesetz gehorchen.
Ein für Friedrich äußerst heikler Konflikt mit seinem ältesten Sohn Heinrich, seit 1220 römisch-deutscher König, bietet Gelegenheit, diese Selbstdisziplin des Mächtigen zu beweisen. Heinrich wurde im Alter von 14 Jahren mit der sieben Jahre älteren Margarete von
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