Die Staufer und ihre Zeit
Macht-Rationalist, der aber auch die Architektur-Ikone Castel del Monte, dieses magische Achteck, als Sinnbild des himmlischen Jerusalem (und des Aachener Kaiserdoms) bauen ließ – also für seine Ratio die metaphysische Überhöhung suchte.
Auch Friedrichs Kampf mit dem Papst hat diesen Doppelcharakter: Noch bei der Absetzung irgendeines kleinen Bischofs geht es zugleich um weltliche Macht und geistliche Legitimation. Wer vor aller Welt als Ketzer gebrandmarkt ist, hat auf Dauer in der Politik des Mittelalters keine Chance. Vor allem deshalb hat der vom Papst immer wieder verfluchte Friedrich den Kampf mit dem Heiligen Stuhl, der in dieser Zeit den Höhepunkt seiner Macht erreicht, letztlich verloren – trotz diverser Siege auf dem Schlachtfeld und manchen Prestige-Erfolgs.
Friedrichs vielgerühmte Offenheit für die Naturwissenschaft war kaum sensationeller als die eines spanischen Kollegen jener Zeit, des kastilischen Königs Alfons X. (1221 bis 1284), der ein Enkel Philipps von Schwaben war. Alfons verband das Interesse für Wissenschaft, vor allem Astronomie, für Poesie, Geschichtsschreibung, Würfelspiel (über das er ein Handbuch verfasste), Jagd und römisches Recht mit praktischer religiöser Toleranz – er ließ den Koran und den Talmud ins Kastilische übersetzen.
Friedrichs Neigung zur Naturwissenschaft wird auch durch die päpstliche Propaganda übertrieben, um ihn als Jesus-Verräter brandmarken zu können, der nichts glaube,
»was nicht durch die Natur und die Wissenschaft bewiesen werden könne«.
In diesen Kontext gehört die Horrorstory von Friedrichs Obsession, die menschliche Ur-Sprache durch Experimente mit Säuglingen zu erkunden. Der Kaiser soll Ammen befohlen haben, ausgesuchte Babys zwar zu versorgen, aber mit ihnen kein Wort zu sprechen. So wollte er angeblich herausfinden, ob die ersten Sprechversuche der Kleinen auf Hebräisch, Griechisch, Arabisch, Lateinisch oder bloß in der Sprache ihrer Eltern stattfänden. Doch ohne die Koseworte ihrer Ammen seien die Babys verkümmert und gestorben.
Aufgeschrieben hat diese Geschichte, nach dem Tod des Kaisers, der Chronist Salimbene de Adam; sie enthält »zweifellos Produkte der Phantasie des Franziskaners«, wie Hubert Houben in seiner 2008 publizierten Friedrich-Biografie urteilt. Salimbene liebt es, Friedrich, den er irgendwie bewundert, gleichwohl als gottlosen Herrscher und genießerischen Epikureer anzuschwärzen. Von ihm stammt auch die Geschichte, Friedrich habe einen zum Tode Verurteilten in ein Weinfass einschließen lassen, um zu sehen, ob bei dessen Exitus die Seele aus dem Loch huscht. Nach diesem Experiment habe Friedrich den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele verloren.
Schreckensanekdoten und Lobeshymnen sind fast die einzigen zeitgenössischen Quellen, die über die Persönlichkeit Friedrichs Auskunft geben. Beiden Sichtweisen dürfen wir nicht trauen. Authentisch daran ist der Streit, dem sie jeweils dienen; die von ihnen verbreitete Charakterisierung der Person des Herrschers ist historisch nur sehr begrenzt brauchbar. Friedrich selbst hat, anders als 300 Jahre später der Habsburger Karl V., keinen autobiografischen Text hinterlassen.
Ferdinand Gregorovius, der im 19. Jahrhundert die »Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter« rekonstruiert hat, urteilt über Friedrich II., er sei »der vollständigste und genialste Mensch seines Jahrhunderts« gewesen. Dies Urteil bündelt großzügig all die Widersprüche, abstoßende wie sympathische Vieldeutigkeiten im Leben Friedrichs, ohne sie in ein klares Fazit zu pressen. Ein triftiges Urteil, das nur der überbieten könnte, der die Autobiografie des Kaisers fände.
DAS GLÜCK VOR TAUSEND JAHREN
In Palermo, der Hauptstadt ihres Königreiches Sizilien, liegen die Staufer-Kaiser Heinrich VI. und Friedrich II. prunkvoll begraben. Vom einstigen Glanz der multikulturellen Metropole ist wenig geblieben.
Von Fiona Ehlers
Auf einem Hügel in Palermos Altstadt steht ein wundersames Gebäude, es ist der Palazzo dei Normanni, der Normannenpalast, eine karge Festung aus dem Mittelalter mit Anbauten aus der Renaissance. Er thront über der Bucht Conca d’Oro, der goldenen Muschel vor Palermo. Berge flankieren seine Seiten, im Rücken bedrängen ihn Hochhaussiedlungen mit Wäsche an den Fenstern und Müllhalden im Hof. Der Palast erzählt viel über Sizilien, dieser von Fremdherrschern geprägten Insel im Mittelmeer, von vielen begehrt, jahrhundertelang umkämpft, er ist ein
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