Die Steampunk-Chroniken - Aethergarn
Die Ausmaße der Zerstörung lagen jenseits jeder Vorstellungskraft.
Anabelle schritt langsam voran. Vorsichtig, bedacht auf das immense Gewicht ihres Maschinenkörpers, umging sie instabilere Stellen des Bodens. Sie suchte Zaida. Mit einer Hand raffte sie die Schleppe ihres Kleides, um in den Krater unter dem Wrack zu klettern.
Geröll und Schutt knirschte unter ihren Absätzen. Ein Polizist hob kurz den Blick, wandte sich aber wieder ab, als er sie erkannte. Wenige Schritte entfernt stand die schlanke, hochgewachsene Angolanerin. Sie hielt in ihrer unbehandschuhten Hand ihren Stock mit dem silbernen Rabenkopf. Behutsam rieb sie über das Metall. Langsam drehte sie sich um ihre Achse. Es schien, als wolle sie sich einen Überblick verschaffen. Zaida sah durch die Schleier der Wirklichkeit und den Filter der Magie.
Vorsichtig trat Anabelle an ihre Seite und wartete geduldig, bis sich die Aufmerksamkeit ihrer Freundin auf sie richtete.
»Wie viel weißt du von Hailey?«, fragte die Zauberin leise.
»Pläne und Berichte habe ich mir angesehen und Mrs. Havelock kennen gelernt«, entgegnete Anabelle.
»Deine Meinung?« Zaidas Mimik verriet nichts von ihren persönlichen Eindrücken.
»Sie ist dem Seniorpartner sehr ergeben«, murmelte Anabelle. »Ihr missfällt die Prüfung der Unterlagen.«
»Wir sind Fremde, die unangenehme Fragen stellen und den Ruf Erhardts beflecken könnten«, entgegnete Zaida.
»In jedem Fall.« Anabelle straffte sich. »Anhand der Unterlagen und dem Fehlen einzelner Dokumente möchte ich die ehrbaren Absichten Mr. Erhardts ebenso in Frage stellen wie die von Mr. Vock.«
Zaida streifte ihren Handschuh über und umklammerte den Stock fester. »Was hast du gefunden?«
Kommentarlos entrollte Anabelle die Plakate, die sie aus der Eingangshalle mitgenommen hatte. Das silbrige Wikingerschiff schnitt auf einer Illustration durch die Wolkendecke zu den Sternen. Auf der anderen präsentierte es sich seriös als Luxusliner der Lüfte. Mit einer knappen Kopfbewegung deutete sie zu dem Sporn, der über Ihnen in den Krampen hing.
»Anhand der Statik und der Inneneinrichtung würde diese Konstruktion nicht starten können«, erklärte Anabelle ruhig. Sie sah den leisen Zweifel in dem Blick ihrer Freundin. »Die Forschung ist hierfür nicht weit genug. Zurzeit brauchen wir Heliumballons und Rotoren. Dieses Schiff hat Segel. Wenn sich im Bauch nicht außergewöhnlich viel Gas für den Antrieb befinden sollte, wird es nicht starten. Davon abgesehen fehlen ihm die relevanten Rotoren, die es davor bewahren ins Trudeln zu kommen.«
»Dieses Schiff wird seit Monaten beworben«, murmelte Zaida tonlos. »Laut der Times sollte morgen das erste Mal einen Testflug stattfinden.«
» Unser Weg zu den Sternen «, zitierte Anabelle. Ihre Stimme troff vor Ironie. »Nein. Dieses Schiff ist Betrug.«
Zaida senkte den Blick. »Kannst du diese Theorie beweisen?«
»Gib mir Zeit, Pläne und Berichte zu studieren, um sie anschließend mit dem Wrack zu vergleichen.«
* * *
Der Verdacht des Betruges und der Veruntreuung von Forschungsgeldern verdichtete sich für Anabelle, als Hailey von einem Besuch bei der Rothschild-Bank zurückkehrte. »Anabelle!« rief er schon auf die Entfernung. »Sie hatten offenbar den richtigen Riecher!«
Anabelle hob den Blick. Sie kniete auf dem Boden, in ihren Händen ein Kupferzylinder und Reste einer winzigen Kupferspule aus einer Taschenuhr. Sie trug unterdessen den groben Hosenanzug eines Arbeiters und Handschuhe. Sergeant Masters assistierte ihr. Er stand an einem Tisch und katalogisierte, was Anabelle an Einzelteilen fand und sofort zuweisen konnte. Sie legte den Zylinder ab und nickte dem jungen Mann zu. »Notieren Sie, Masters?«, bat sie ihn.
»Sicher, Mademoiselle!«
»Was haben Sie erfahren?«, wendete sie sich an den Inspektor, der atemlos neben dem Tisch innehielt.
»Die Konten sind eingefroren worden. Aber die Einlage war ungewöhnlich gering«, keuchte er. »Allerdings wurden laut den Rothschilds große Beträge an eine Firma in Indien transferiert. Bei allen anderen Unterlieferanten für dieses Projekt sind wiederum nur geringe Anzahlungen geleistet worden.« Er tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Was konnten Sie in der Zeit finden?«
Anabelle deutete auf den Tisch und die Bücher hinter sich. »Dieses Schiff sollte einen Verbrennungsmotor auf Basis von Diethylether erhalten. Diese Idee ist gut. Die Energie, die aus diesem
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