Die Steampunk-Chroniken - Aethergarn
konnte, von dort mehrere Verzweigungen, die über drei Etagen hinweg den runden Basiskörper des Schiffs formten. Hier unten im Wartungsdeck waren die Rohre frei und kreuzten sich offenen Blicks in den Wegen. Ein Reparatureinsatz konnte schnell zur Kletterpartie werden. Zwar war auch hier der ästhetische Geist der Bauherren zu spüren – die Rohre waren häufig in Goldtönen verkleidet und an Wegkreuzungen mit Ornamenten und Ideogrammen verziert – in den oberen Etagen aber integrierten sie sich elegant in den Schick der Räumlichkeiten. Da die Rohre auch zum Heizen genutzt wurden, lagen sie zwangsläufig in den Zimmern der Hoheiten frei, bildeten aber im Zusammenspiel mit vorgetäuschten Kaminen ein Bild, das vom opulenten Lebensstil der Spanier nicht mehr zu unterscheiden war.
Nach ihrem langen Weg durch den Bauch des Schiffs erreichten die Rohre schließlich die bauschige Oberfläche, auf der an einzelnen Stationen Zelte aus Folie aufragten, um einen einfachen Ausblick zu ermöglichen, und entließen dort ihren Dampf in die gespannten Segel, die das Schiff Richtung Europa trugen.
Emilio kannte als einer der wenigen Drachenbändiger all diese Orte. Oft hatten die Rohre Verstopfungen oder Lecks, und auch wenn ein paar funktionsunfähige Dampfwege leicht kompensiert werden konnten, ohne dass das Schiff aus der Bahn geriet, waren, wenn es in die Schlacht ging, präzise Manöver vonnöten, und Emilio sorgte dafür, dass der Fluss des Dampfes durch das Schiff stets frei war.
Er sah sich nicht als einen der Bändiger. Seine Hände waren nicht schmutzig, und durch den freien Zugang zu den oberen Decks lag sein Bewegungsradius deutlich über dem eines Arbeiters. Es hatte sich nicht viel geändert im Vergleich zu seinem Leben am Boden. Er konnte noch immer den Träumer spielen, der sich zwar für einen Viehhirten hielt, seine Zeit aber lieber damit verbrachte, Schmetterlingen auf der Wiese nachzujagen.
Wenn die rotglühenden Dampfzirkel, die durch die Rohre schießen, Schmetterlinge wären , dachte Emilio heute, dann wäre das Okular mein Schmetterlingsnetz, mit dem ich sie in meinem Kopf konserviere. Ich darf nur den Gedanken an sie nicht verlieren.
Links vor sich entdeckte er endlich das Leck, nach dem er gesucht hatte. Es war nicht groß, sonst hätte es ganze Gänge eingenebelt und viel früher Alarm ausgelöst. Aber solche Lecks konnten, wenn der Spanier kam, über die Wendefähigkeit des Schiffs, und damit über Leben und Tod entscheiden. Kleine Fäden aus Dampf schossen in Emilios Blickfeld, lenkten das Licht in tausend Richtungen und machten diesen Teil des Schiffs zu einem Zerrbild aus verschiedenen Perspektiven.
Emilio schloss die Weiche am Anfang des Korridors, und spürte, als der Dampf versiegte, sofort eine leichte Neigung des Schiffes, die sich schnell stabilisierte. Während er das Rohr mit selbstwachsendem halborganischem Metall bearbeitete, dachte er wieder über den unausweichlichen Angriff nach. Ein Luftschiff hatte die Eigenschaft, jeden äußerlichen Einfluss direkt auf seine Insassen zu übertragen. Kälte, die durch die Schiffswand in alle Poren drang, das leichte Schwanken im Wind oder bei einer Kursänderung, das sich direkt auf das Gleichgewicht übertrug (wie sollte man in brenzligen Situationen die Nerven behalten, wenn man unkontrolliert mit dem Schiff pendelte!); und ja: sicher übertrugen sich Geschütze auf die Mannschaft. Und sie brachten nicht Schwindel oder Kälte, sondern den Tod!
Emilio fühlte sich sehr verloren. In seinem alten Leben, da hatte er die Dinge beeinflussen können. Wenn ihm eine Pflanze einzugehen drohte, dann gab er mehr Wasser. Wenn ihm ein Pflug kaputtging, dann reparierte er ihn mit allem, was eben greifbar war – zumeist ein starkes Stück Seil. Hier war er den Geschehnissen ausgeliefert. Er hatte die Kontrolle verloren.
Mit einem lauten Seufzen betätigte Emilio das Ventil und brachte die Weiche wieder in Gang. Langsam nahm das Rot in seinem Sichtfeld zu: die Hitze kroch zurück ins Rohr. Der Fluss des Dampfes war wieder frei.
III. Die Hoheiten
»Der Junge hat kaum noch Zeit mich zu besuchen. Springt nur noch auf den oberen Decks rum.«, sagte Mateo so laut, dass Emilio ihn hören musste, als die Bändiger abends in ihrem Quartier zusammen saßen. Emilio lag am Rande auf seiner Koje – wie so oft blieb er den Geselligkeiten fern – und war vertieft in ein Handbuch.
Mit einem Lachen, das in einem Röcheln endete, rettete Arlo –
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