Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
sie sich am längsten im Olymp der Supermodels gehalten. Selbst Skandale und Eklats wie veröffentlichte Fotos, die sie beim Kokainkonsum zeigen, konnten ihr nichts anhaben. Als eines ihrer Erfolgsgeheimnisse gilt, dass sie es wie die Queen hält, nicht öffentlich den Mund aufmacht, nur sehr selten Interviews gewährt und wenn, dann vollkommen nichtssagende Antworten gibt. Als Muse ist sie ein unbeschriebenes weißes Blatt, das jeden Modemacher und Fotografen reizt, es mit seiner Kreativität neu zu füllen. Dadurch genießt sie die Aura der geheimnisvollen Sphinx, in die jeder hineininterpretieren kann, was er gern in ihr sehen möchte.
Nach der vielzitierten Weisheit von Paul Watzlawick ist es ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren, selbst wenn man schweigt. Besondere Aufmerksamkeit genießt insofern naturgemäß das Schweigen von Künstlern, weil wir unterstellen, ihre Funkstille könne ein besonders bedeutsames Signal, eine Botschaft an uns alle transportieren. Je lauter das Schweigen des Künstlers wird, desto mehr Exegeten sind zur Stelle, es auszudeuten: sei es als tragisches Resultat von Scheitern und Schaffenskrise auf einem riskanten künstlerischen Weg, sei es als bewusst eingesetzte und inszenierte künstlerische Strategie der Verweigerung.
Die Krux dabei: Man muss zuvor eine geneigte Öffentlichkeit davon überzeugt haben, dass man etwas zu sagen hat. Allein durch Schweigen ist noch niemand berühmt geworden. Die ökologische Nische des „Künstlers ohne Werk“ erscheint inzwischen wohl etwas überbevölkert. (Übrigens ist der werklose Künstler ein Meister aus Deutschland, wie die Literaturwissenschaftlerin Alexandra Pontzen herausgefunden hat. Er zehrt von der Genieästhetik und dem emphatischen Werkbegriff des deutschen Idealismus und kann so etwas wie eine „negative Erhabenheit“ für sich reklamieren.)
Auch scheint die Originalität des radikalen Reduktionismus ausgereizt. 1913 bereits hat Kasimir Malewitsch das Schwarze Quadrat gemalt und damit den Nulldurchlaufdermodernen Malerei geschaffen. John Cages Komposition 4'33'' besteht nur aus einem ansonsten leeren Notenblatt, auf dem hinter den Nummern I, II und III für die drei Sätze jeweils „Tacet“ steht – er/sie/es schweigt. Am 29. August 1952 wurde das Stück in der Maverick Concert Hall bei Woodstock durch den Pianisten Daniel Tudor uraufgeführt, der die drei Sätze durch Auf- und Zuklappen des Klavierdeckels anzeigte. Es hätte allerdings auch von einem Symphonieorchester aufgeführt werden können und hätte dann ähnlichgeklungen: vier Minuten und 33 Sekunden lang Stille. Peter Laudenbach schreibt darüber in der Zeitschrift brandeins mit dem Schwerpunkt „Nichtstun“: „In der Fachwelt löste Cages Komposition jedenfalls Debatten über das Wesen der Musik aus. Dabei hatte Cage schon 1949, drei Jahre vor der Uraufführung von 4'33'' , bei einem ‚Vortrag über das Nichts‘ in einem New Yorker Club erklärt: ‚Ich bin hier, und es gibt nichts zu sagen. Was wir brauchen, ist Stille.‘“
Der US-amerikanische Künstler und Bildhauer Tom Friedman, Jahrgang 1965, stößt mit seinen Konzeptkunstwerken dezidiert in neue Sphären des Unspektakulären vor – des „Unheroischen“ wie er es nennt. Seine Arbeit 1000 Hours of Staring etwa ist ein leeres Blatt Papier, das nur dadurch zum Kunstwerk erhoben wird, dass Friedman tausend Stunden lang darauf gestarrt hat.
Damit tritt er in die Fußstapfen des größten und bestgelaunten Verweigerers und Wenig-bis-Nichtstuers der Kunstgeschichte: Marcel Duchamp. Schon im Herbst 1912 bemerkte der junge Maler, der mit seinen kubistischen Bildern gerade zum Star avancierte, beim Besuch einer Luftfahrtschau: „Die Malerei ist am Ende. Wer kann etwas Besseres machen als diese Propeller?“ Im annus mirabilis 1913, in dem auch Malewitsch in St. Petersburg dieerste Fassung seines Schwarzen Quadrats präsentiert, schraubt Duchamp in seiner Pariser Wohnung eine Fahrradgabel auf einen Hocker, um zu ergründen, ob man überhaupt Werke schaffen könne, die keine Kunstwerke sind. Fertig war das erste „Readymade“ der Kunstgeschichte. Florian Illies zitiert Duchamp in seinem Jahrhundertbuch 1913 zu seiner Motivation: „Es war etwas, das ich in meinem Zimmer haben wollte, wie man ein Feuer hat oder einen Bleistiftanspitzer, außer dass es keinen Nutzeffekt hatte. Es ist ein angenehmes Gerät, angenehm aufgrund der Bewegung, die es gab.“ Einfach ein schönes
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