Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
und Faulheit. Eine schwierige Disziplin (Manfred Koch) bis hin zu Die Kunst des Liegens (Bernd Brunner), Einfach liegen lassen (John Perry) und Nichtstun, Flirten, Küssen (Manfred Spitzer). Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und dieses Buch bildet dabei nur insofern eine Ausnahme, als es den Akzent anders setzt – und nicht das Nichtstun, sondern das Nicht-Handeln als Stein der Weisen propagiert.
Das Abhandenkommen des Nichtstuns wortreich zu bedauern und dafür zu werben, es wieder zu erlernen, ist das eine. Angesichtseines atomistisch zerhackten Arbeitsalltags und anderen an uns zerrenden Ablenkungen wirklich über Muße zu verfügen, das andere. Natürlich wäre mehr Muße „nice to have“ – wenn man sie denn hätte. Statt uns konsequent von Anforderungen Dritter freizuschaufeln, kaufen oder verschenken wir Bücher darüber, die dann ungelesen auf dem Nachttisch liegen, weil uns die Zeit und Muße fehlt, sie zu lesen.
Die Alternative lautet: Das Übel muss dort an den Wurzeln gepackt werden, wo es entsteht – in den Unternehmen, Organisationen, Abteilungen und Meetingräumen, in Wirtschaft, Politik, Schule und Universität sowie in den Medien. Den roten Faden des Ut aliquid fiat zu durchschneiden, den Action bias in Aktion zu entlarven und anzuprangern, dass ein Großteil dessen, was unternommen wird, einfach nur deshalb geschieht, damit etwas geschieht – das ist unsere vornehmste Aufgabe.
STEADY STATE:
DIE KUNST DES BLEIBEN-LASSENS
Neue Steinzeit
Vom französischen Mathematiker und Philosophen Blaise Pascal stammt die vielzitierte Apologie aller Stubenhocker: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht still in einem Zimmer bleiben können.“ – Staying put als Lebensmotto für „Drinnis“, wie Bill Kaulitz, der Sänger der Teenieband Tokio Hotel, sich und seinesgleichen einmal nannte. Auf gesellschaftlicher Ebene findet diese Einschätzung zu den Ursachen menschlichen Unglücks ihre Entsprechung in der Gretchenfrage, wie man es mit dem Fortschritt hält. Im Epilog von Per Anhalter durch die Galaxis schreibt Douglas Adams: „Viele kamen allmählich zu der Überzeugung, einen großen Fehler gemacht zu haben, als sie von den Bäumen heruntergekommen waren. Und einige sagten, schon die Bäume seien ein Holzweg gewesen, die Ozeane hätte man niemals verlassen dürfen.“
In den harten ideologischen Grabenkriegen der untergegangenen Bundesrepublik waren es ausgerechnet die CDU-Wähler und Ewiggestrigen, die – optisch die Anti-Atomkraft-Sonne nachahmend – auf ihren Audis und BMW Aufkleber mit der Aufschrift „Steinzeit? Nein Danke!“ spazieren fuhren.
Heute, da eine offiziell konservative Regierung unter Angela Merkel den Atomausstieg beschlossen hat und die ideologischen Fronten sich in einer allgemeinen Unübersichtlichkeit auflösen, unterliegt auch die Steinzeit einer schleichenden Neubewertung.
In Kalifornien und New York, den Experimentallabors für neue Lebensstile, steht die Rückbesinnung auf die gesunde Lebensweise der Neandertaler gerade hoch im Kurs: „Paläo“ nennt sich der Lifestyle derjenigen, die glauben, man hätte die Höhlen niemals verlassen sollen. Sie essen viel rohes Fleisch, Früchte und Beeren, aber kein Getreide. Zudem propagieren sie moderate Bewegung in kurzen Intervallen, barfuß undan der frischen Luft. Der Paläo-Guru Art De Vany, 73 Jahre alt und kerngesund, zieht zweimal in der Woche seinen Range Rover die Einfahrt seines Hauses hoch, als sei es ein erlegter Bison. Er hat ein erfolgreiches Buch darüber geschrieben, wie man nach dem Vorbild unserer Urahnen fit bleibt. Der Schlüssel liegt für ihn in kurzer, aber harter körperlicher Arbeit („Können Sie sich vorstellen, wie schwer es ist, ein Mammut mit einem Stein zu zerlegen?“) und einer Diät anno 40 000 v. Chr. („Wir versuchen, nur das zu essen, was es schon vor Erfindung der Landwirtschaft gab“).
Längst ist der Trend auch nach Deutschland geschwappt. In Berlin-Neukölln hat 2011 mit dem Sauvage das erste Steinzeit-Restaurant für Feinschmecker eröffnet. Die paläolithischen Gerichte aus Fleisch, Fisch, Gemüse, Beeren und Nüssen werden dort bei Kerzenschein auf Schiefertafeln serviert. An den Wänden hängen Geweihe und Fossilien.
Zurück in die Steinzeit also? So weit möchte die Stein-Strategie nicht gehen, obwohl es eine schöne Pointe wäre. Ohnehin ist die Steinzeit – oder besser ihr Klischee, in dem die Männer Jäger und die
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