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Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Titel: Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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1970 ungefähr konstant geblieben ist. Ihre Befunde wurden seither vielfach bestätigt. Die Zeitersparnis durch technische Helfer wird durch gehobene Standards in Hygiene und Ästhetik sofort absorbiert. Wurden die Teppiche früher zweimal im Jahr auf der Teppichstange imHof ausgeklopft, werden sie heute zweimal die Woche gestaubsaugt. Geht die Zubereitung des Essens dank Mikrowelle schneller, verwenden wir – das heißt statistisch in der Mehrheit leider immer noch: Frauen – mehr Zeit auf die Blumenkästen auf dem Balkon.
Fortschritt revisited
    Sogenannte Rebound-Effekte begegnen einem nicht nur im Haushalt, sondern überall, wo technischer Fortschritt stattfindet. Höhere Sicherheitsstandards durch Fahrrad- und Skihelme verleiten zu riskanterer Fahrweise. Die Ersparnis durch weniger spritfressende Motoren führt dazu, dass viele ihr Auto häufiger benutzen und längere Strecken zurücklegen. Generell wird im Bereich Energie ein Großteil der durch Effizienzsteigerung erzielten Kohlendioxid-Einsparung durch den Rebound-Effekt wieder zunichte gemacht. Auch hier gilt also, mit der Roten Königin gesprochen: Wir müssen doppelt so schnell sein, um von der Stelle zu kommen. Das ist die Dialektik des technischen Fortschritts.
    Weil wir – die meisten von uns – progressiv eingestellt sind, halten wir Fortschrittlichkeit für etwas Erstrebenswertes, und Fortschritt unbesehen immer und überall für etwas Positives. Dabei übersehen wir, dass dieser Bewertung des Begriffs eine Konjunktur zugrunde liegt, die zeitlich wie räumlich eng eingrenzbar ist. „Fortschritt, der sich aus der Fortschrittserfahrung heraus über eine Fortschrittserwartung zu einem Fortschrittsglauben oder einer Fortschrittsideologie verfestigt, ist eine spezifische europäische Entwicklung des 18. und 19. Jahrhunderts“, schreibt Matthias Zimmer, Politikwissenschaftler und CDU-Bundestagsmitglied, in einem Thesenpapier für die erwähnte Enquetekommission des Bundestages. Von der Antike bis in die frühe Neuzeit hätte die Mehrzahl der Menschen Fortschritt eher als Bedrohung denn als Chance begriffen. Erst seit der Renaissance habe sich eine Umwertung vollzogen, die ihren Höhepunkt in den großen Fortschrittsutopien Ende des 19. Jahrhunderts hatte.
    Der gewöhnungsbedürftige Titel des Papiers, Fortschritt als bürgerliche Leitideologie , zeigt an, worauf schon der große Begriffshistoriker Reinhart Koselleck hingewiesen hatte: dass die Eigentümerschaft des Fortschrittsversprechens zu wechseln pflege, für Zimmer bedeutet das, dass die Sozialdemokratie ihnnicht gepachtet habe, auch wenn sie ihn seit 80 Jahren im Schilde führe, und dass es sich bei ihm im Kern um eine „Ideologie des aufsteigenden Bürgertums“ handele.
    Fortschritt gehört politisch immer dem, der davon profitiert. Heute ist auch das im Zuge der neuen Unübersichtlichkeit nicht mehr eindeutig entscheidbar; vor drei bis vier Jahrzehnten war es noch unzweifelhaft die SPD. Das rekapituliert der Politikwissenschaftler Frank Walter in einer Analyse der „Fortschrittsdesigner“ Ende 2012 im Freitag : „Am Ende der ersten christdemokratischen Ära – in der zweiten Hälfte dersechziger Jahre – war die Sozialdemokratie als Partei der nach wie vor gesellschaftlich Zukurzgekommenen noch eine Aufstiegsbewegung. Und so war natürlich ebenso selbstverständlich, dass alle, die sich in den frühen siebziger Jahren jung, links, vorwärtsstürmend und reformorientiert wähnten, emphatisch auf der Seite des Fortschritts platzierten. ‚Modernität‘ war die Zauberformel der Ära Willy Brandt. Und ‚Planung‘ bildete den operativen Handlungskern. Und Politik sollte vorwegnehmend Probleme lösen, bevor sie überhaupt entstehen konnten.“
    Heute dagegen ist das Fortschrittsversprechen nicht nur für die Stammklientel der SPD etwas schal geworden, sondern auch für die „Neue Mitte“, die in den vergangenen Jahren durch das „Säurebad realer Modernisierungsprozesse hindurchgegangen ist“. In Großbritannien hat man das bereits erkannt, schreibt Frank Walter weiter: „Selbst im britischen Thinktank ‚Policy Network‘, der zuden wesentlichen Beratern der ‚Progressivisten‘ in der New-Labour-Zeit Anfang der 90er Jahre gehörte, fiel die Kritik am früheren Paradigma zuletzt scharf aus. Mit der Affirmation der Progressivität sei zugleich der Topos von der ‚Alternativlosigkeit‘ in die sozialdemokratische Rhetorik hineingerutscht.“ Das harmoniere jedoch

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