Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
Frauen Sammlerinnen sind – viel zu präsent, wenn es darum geht, scheinbare Konstanten des Geschlechterverhaltens evolutionsbiologisch zu erklären. Aber die Frage nach Sinn und Zweckdes Fortschritts muss an dieser Stelle doch einmal gelassen ausgesprochen werden.
Die große Erzählung des Abendlands ist das Ausscheren aus der zyklischen Zeit der Naturvölker auf einen kontinuierlichen Wachstumspfad namens Fortschritt: Wir machen uns die Erde untertan! Morgen muss nicht wie heute sein! Unsere Kinder sollen es mal besser haben! Die Idee vom immerwährenden Fortschritt ist die eigentliche Triebfeder hinter wissenschaftlich-technologischen Durchbrüchen und kapitalistischen Innovationen, mehr noch: Sie ist der Quellcode des Kapitalismus. Die Ideologie des ungebrochenen „Höher, Schneller, Weiter“ hat jedoch einige Dellen bekommen, seit der Club of Rome vor 40 Jahren auf die natürlichen Grenzen des Wachstums aufmerksam machte. Spätestens mit der globalen Finanzkrise ist die Wachstumsdiskussion neu entbrannt, und immer mehr Menschen zweifeln daran, dass Fortschritt noch die Formel zum Glück ist.
Ist es überhaupt möglich, aus der Wachstumsspirale auszusteigen? Können wiruns eine Ökonomie im „steady state“ vorstellen? Und was müsste passieren, damit Stagnation in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr gleichbedeutend ist mit Rückschritt? Vielleicht sind wir längst auf dem besten Weg dorthin – nicht, weil uns das Öl ausgeht, sondern die grundstürzenden Innovationen. Vielleicht haben wir längst den „peak“ überschritten, „The End of the Future“ (Peter Thiel) erreicht und befinden uns mittendrin in „The Boring Age“ (Michael Lind). Was wäre so schlimm daran? Selbst Anchu Jain, Co-Chef der Deutschen Bank, diskutiert neuerdings – geläutert durch die Finanzkrise – mit dem Grünen Jürgen Trittin öffentlich über „Boring Banking“ als neues Leitbild der Finanzbranche.
Der preußische Historiker Leopold von Ranke gelangte, nachdem er die Irrungen und Wirrungen der Geschichte, das ganze dialektische Kuddelmuddel ein Leben lang ausgiebig studiert hatte, Ende des 19. Jahrhunderts zu dem Befund: „Die glücklichsten Zeiten der Menschheit sind die leeren Blätter im Buch der Geschichte.“ Auch Menschen, die sich schnell langweilen und zur Ungeduld neigen, müssen wohl anerkennen, dass da etwas dran ist.
Auf jeden Fall sind wir gut beraten damit, unsere Erwartungen an den Fortschritt zu zügeln, unsere historische Ungeduld im Zaum zu halten und unsere „Gegenwartseitelkeit“ kritisch zu hinterfragen. Der britische Historiker Niall Ferguson ermahnt uns in einem Aufsatz, der Ende 2012 in der New York Times erschien, „turning points“ nicht zu viel Bedeutung beizumessen: „Die Geschichte ist ein dümpelnder Öltanker. Sie macht nicht auf der Stelle kehrt und ändert die Richtung. Die Menschheit segelt durch die Zeit in manchmal stürmischer, manchmal ruhiger See. Einige Jahre wurden als Ende der Geschichte ausgerufen, aber überschätzt nicht, welche Bedeutung diese vermeintlichen Wendepunkte wirklich haben.“ Auch wenn allerorten Revolutionen, Paradigmenwechsel und Epochenbrüche annonciert würden, seien diese in Wahrheit sehr rar gesät. Was sich hingegen auf einemruhig dahinschippernden Öltanker, um im Bild zu bleiben, dramatisch und unvorhergesehen verändern kann, ist die Stimmung der Besatzung. Unzufriedenheit und Langeweile können eine gefährliche Mischung aus Ungestüm und Ennui bilden, bis hin zur Meuterei. In der Geschichte sind dasdie buchstäblichen oder sogenannten Revolutionen, die in Wahrheit allerdings die Dinge selten nachhaltig aufden Kopf stellen und den langfristigen Kurs der Geschichte nur wenig ändern.
Red queen effect
Zu Beginn von Lewis Carrolls psychedelischem Märchen Alice im Wunderland begegnet uns ein weißes Kaninchenmit roten Augen, das ständig seine Uhr aus der Westentasche holt und jammert: „O weh! O weh! Ich werde zu spät kommen!“
Im Fortsetzungsband Alice hinter den Spiegeln ist es die Rote Königin, die Alice mit auf einen rasanten Trip nimmt: „Die Königin lehnte sie mit dem Rücken gegen einen Baum und sagte gütig: ‚Jetzt darfst du ein wenig rasten.‘ Voller Überraschung sah sich Alice um. ‚Aber ich glaube fast, wir sind die ganze Zeit unter diesem Baum geblieben! Es ist ja alles wie vorher!‘ ‚Selbstverständlich‘, sagte die Königin; ‚was dachtest du denn?‘ ‚Nun,in unserer Gegend‘, sagte Alice,
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