Die Steine der Fatima
erhobenem Kopf hinter dem Mann einherschritt und sich bemühte, die neugierigen Blicke der Diener und Sklaven, an denen er vorbeikam, zu ignorieren.
Sie kamen zu einer breiten Treppe. Ali hatte seine liebe Not, die Stufen zu erklimmen, ohne dabei seine Würde oder das Gleichgewicht oder gar beides zu verlieren. Zu Ehren des Emirs trug er an diesem Abend sein bestes Gewand einen Kaftan aus doppelt gewebter weißer indischer Seide mit dazu passendem Mantel. Zwei Monate lang hatte sein Schneider an diesem kostbaren Gewand gearbeitet und einen weiteren Monat benötigt, um die Säume mit einer kunstvollen und dennoch dezenten Stickerei zu versehen. Der Erlös aus dem Verkauf dieser Festkleidung hätte sicherlich ausgereicht, eine zehnköpfige Familie ein Jahr lang mit den feinsten Leckerbissen zu ernähren. Aber leider ließ sich der Stoff, so teuer und erlesen er auch war, nicht so leicht in Falten legen, wie Ali es von seiner üblichen Kleidung gewohnt war. Während er sich mit dem dicken, schweren Stoff abmühte, um unter den aufmerksamen Blicken der Diener das Gewand möglichst elegant über dem Knie zu raffen, musste er zugleich höllisch aufpassen, um nicht auf der Treppe auf den besonders langen Saum zu treten und zu stolpern. Und als er es dann endlich geschafft hatte, ohne Verletzungen die lächerlichen zehn Stufen zu erklimmen, stand ihm der Schweiß auf der Stirn.
Er fluchte im Stillen vor sich hin und wünschte, er hätte sich aus diesem Stoff anstelle von Festkleidung einen Vorhang arbeiten lassen. Am liebsten hätte er seinen Fez einfach vom Kopf genommen und sich damit wenig vornehm den Schweiß von der Stirn gewischt. Doch als er endlich durch die breiten Türen in den Festsaal trat, waren bei dessen Anblick alle Mühen auf einen Schlag vergessen.
Der Festsaal verdiente wahrlich diese Bezeichnung. Es war eine große, hohe Halle. Herrliche farbenfrohe Mosaike schmückten die Wände und die schlanken Säulen zu beiden Seiten. Aus zwei Brunnen an den Seitenwänden sprudelte nach Rosen duftendes Wasser. Es floss in zwei Rinnen aus glänzendem rosafarbenem Marmor und speiste ein großes Wasserbecken in der Mitte des Saals, in dem Seerosen und kleine Talglichter schwammen. Der Boden des Beckens war mit einem wunderschönen Mosaik aus roten und goldenen Steinchen ausgelegt, wodurch das Wasser die Farbe von flüssigem Gold erhielt. Zwei schmale, fein geschwungene Stege aus Marmor führten über die künstlichen Bäche. Hunderte von blank polierten, reich mit buntem Glas verzierten Öllampen verbreiteten ihren Glanz. Sie hingen an Haken, die an den Säulen befestigt waren, und standen in kleinen, mit Spiegeln versehenen Nischen oder auf niedrigen Tischen. Aus den Räucherbecken stieg der wohltuende Duft von Amber, Styrax und Sandelholz auf. An der Stirnseite des Raums führte eine breite Treppe zu einem Podest, auf dem kostbare weiche Teppiche und bequeme Sitzpolster ausgebreitet waren. Und in einer Ecke des Raums stimmten gerade eine Handvoll Musiker ihre Instrumente. Der Diener geleitete Ali zu dem Podest, wo Nuh II. es sich bereits mit einigen anderen Gästen bequem gemacht hatte.
Als er Ali kommen sah, erhob er sich entgegen seiner Gewohnheit und ging ihm sogar ein paar Stufen entgegen. »Welche Freude, Euch heute hier begrüßen zu dürfen, Ali al-Hussein, verehrter und geschätzter Freund.«
Nuh II. ergriff Alis Hände und umarmte und küsste ihn, als wäre er sein verloren geglaubter Bruder. Für einen Augenblick wurde es Ali flau im Magen, und seine Knie begannen zu zittern. Begrüßte man nicht auf diese Art einen besonders gefürchteten Feind, um ihn in Sicherheit zu wiegen und ihn nicht merken zu lassen, dass sein Todesurteil bereits beschlossen ist?
»Die Freude ist auf meiner Seite, Nuh II. ibn Mansur, Herr und Gebieter der Gläubigen von Buchara«, erwiderte Ali höflich und versuchte, unbefangen zu lächeln, obgleich die Angst ihm die Kehle zuschnürte. Mose Ben Levi, ein reicher jüdischer Kaufmann, kam ihm in den Sinn.
Mose war vor etwa einem Jahr plötzlich und unerwartet gestorben, nachdem er an einem eigens für ihn ausgerichteten Festmahl des Emirs teilgenommen hatte. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, dass Nuh II. ihm nicht verziehen hatte, dass die Pferde des Juden seine eigenen in einem Rennen geschlagen hatten. Man erzählte sich auch, dass Mose schon während des Mahls den seltsamen Geschmack einer eigens für ihn zubereiteten Speise beklagt hatte. Natürlich waren das alles
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