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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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unglücklichen Jagdunfalls ein unförmiger blutiger Klumpen Fleisch mitten in meinem Gesicht. Niemals hatte ich zu hoffen gewagt, dass sie so zusammenwachsen könnte, dass sie wieder meinem ursprünglichen Antlitz ähnelt. Und nun seht sie Euch an, verehrte und geschätzte Freunde. Vermögt Ihr einen Unterschied zu vorher festzustellen?« Alle schüttelten überzeugt die Köpfe. »Das habe ich nur der Kunst dieses Mannes zu verdanken.« Nuh II. deutete in einer ausladenden Geste auf Ali. »Ohne ihn hätte ich vermutlich ausgesehen wie ein Schläger aus der düstersten Spelunke Bucharas.«
    Ali wäre am liebsten in den starren Falten seines Gewands verschwunden. Normalerweise litt er nicht gerade an übermäßiger Bescheidenheit, aber diese Lobeshymne wurde ihm allmählich zu viel. Wenn er nur gewusst hätte, was Nuh II. damit bezweckte.
    »Aus diesem Grunde«, fuhr der Emir unbeirrt fort, »will ich Euch, verehrter Ali al-Hussein, ein Zeichen meiner Dankbarkeit und Wertschätzung überreichen.« Er machte eine kurze Pause und sah in die Runde seiner Gäste. »Ich habe lange überlegt und mich von meinem engsten Vertrauten beraten lassen, womit ich einem Mann, der selbst über ein nicht unerhebliches Vermögen verfügt, einen Gefallen erweisen könnte. Ali al-Hussein Juwelen, Teppiche oder Möbel zu schenken, mögen sie auch noch so kostbar sein, hieße, Saddin ein Pferd schenken zu wollen.«
    Allgemeines Gelächter ertönte. Auch Ali stimmte pflichtschuldig mit ein. Dabei schlug sein Herz in seiner Brust fast so schnell wie vorhin die Trommel zum Ende des Tanzes. Widersprüchliche Gefühle stritten sich in ihm. Einerseits war er aufgeregt wie ein kleiner Junge vor seinem ersten Jagdausflug. Er konnte die Spannung kaum noch ertragen, bis er endlich erfahren würde, was Nuh II. sich für ihn ausgedacht hatte. Andererseits plagte ihn immer mehr die Angst davor, dass sich das ganze Festmahl und das Geschenk doch noch als Falle entpuppten und dass am Ende dieses Abends sein Todesurteil stand oder zumindest etwas, das dem gleichkam.
    »Also, verehrter Ali al-Hussein, habe ich mir für Euch etwas Besonderes ausgedacht. Etwas, das Ihr, wie man mir erzählte, trotz Eures Reichtums noch nicht besitzt.«
    Der Emir erhob sich und rieb sich in Vorfreude die Hände. Oder war es Schadenfreude? Ali war sich da nicht sicher. »So bringt sie herein!«
    Der Trommler begann auf seiner Trommel einen schnellen Wirbel zu schlagen, die allgemeine Spannung erreichte ihren Höhepunkt. Unwillkürlich hielt Ali den Atem an. Was hatte Nuh II. vor? Wollte er ihm etwa eine Löwin schenken? Hegte der Emir vielleicht die Hoffnung, dass ein Raubtier ihn in seinem eigenen Haus tötete, ohne dass seine Hände mit Alis Blut besudelt würden? Doch gleich darauf löste sich die Spannung auf, denn in dem Augenblick, als die Trommel verstummte, trat eine Frau hinter dem Vorhang hervor. Ein Diener begleitete sie und führte sie am Wasserbecken vorbei, als wollte er sichergehen, dass sie nicht wieder umkehrte und in der Weite des Palastes verschwand. Die Frau war verschleiert, wie der Koran es vorschrieb, sodass Ali nicht sehen konnte, um wen es sich handelte. Zu seiner großen Überraschung erkannte er, dass sie wie eine Braut gekleidet war. Was hatte Nuh II. vor? Wollte er ihn etwa hier, an diesem Ort und in dieser Stunde, verheiraten? Ali wusste nicht, was er davon halten sollte. Einerseits war er erleichtert – schließlich bedeutete eine Hochzeit nicht den Tod, so wie er es noch wenige Momente zuvor befürchtet hatte. Andererseits hatte er sich eigentlich seine Ehefrau selbst aussuchen und die Hochzeit in seinem Haus mit seinen Gästen vollziehen wollen. Aber konnte man das einem Herrscher sagen? Wohl kaum.
    Nuh II. ging der verschleierten Frau entgegen, nahm ihre Hand und führte sie zu Ali wie ein Vater seine Tochter zum Bräutigam. Ali wurde unwohl zumute, und er stellte zu seiner eigenen Überraschung fest, dass er eigentlich gar nichts gegen sein Junggesellenleben einzuwenden hatte. Ob er diese verhängnisvolle Situation vielleicht doch noch abwenden konnte? Hunderte Gedanken und Ausreden jagten durch seinen Kopf, die er aber alle sofort wieder verwarf. Er konnte doch nicht Nuh II. in dessen eigenem Haus vor seinen Gästen beleidigen, indem er ein Geschenk von ihm zurückwies. Aber dann sah er in die Augen der Verschleierten – sie waren blau, so blau wie der Himmel zum Einbruch der Dämmerung –, und Ali stockte der Atem. Das war sie! Diese

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