Die Steine der Fatima
Mansurs geehrt werden sollte. Diese Auszeichnung war verbunden mit der Einladung zu einem Festmahl zu seinen Ehren am kommenden Abend. Ali überlegte, was das bedeuten konnte. Vielleicht ein Ehrentitel? Das war ziemlich unwahrscheinlich. Ali war in Buchara geboren worden, doch zeit seines Lebens hatte der Emir nie einen Ehrentitel verliehen, weder an einen Einwohner Bucharas noch an jemand anderen. Nuh II. verteilte stattdessen lieber Geschenke. Bei denen erwies er sich jedoch, das musste jeder zugeben, als äußerst großzügig. Also hatte Ali mit einem Geschenk zu rechnen. Aber was konnte das sein? Er zerbrach sich die halbe Nacht den Kopf darüber. Da er Nuhs aus Desinteresse geborene Vergesslichkeit kannte, begann er sich schon zu fragen, was er mit einem weiteren Landgut anstellen sollte. Verkaufen? Verschenken? Oder als Kuriosum behalten? Oder hatte Nuh II. vor, ihm diesmal kostbare Juwelen zu schenken? Ein wertvolles antikes Kollier aus dem Besitz seiner Familie? Aber vielleicht war Nuh II. ja auch auf die großartige Idee gekommen, ihm einen Wunsch zu erfüllen?
Noch am darauf folgenden Abend, als er sich bereits in der komfortablen Sänfte des Emirs auf dem Weg zum Palast befand, dachte Ali über diese Auszeichnung nach. Er überlegte, was er antworten sollte, falls Nuh II. ihm tatsächlich diese wundervollste aller Fragen stellen würde: Sage mir, was dein Herz begehrt, du hast einen Wunsch frei.
Was sollte er sich wünschen? Geld, Edelsteine, teure Möbel und erlesene Teppiche besaß er selbst schon mehr als genug. Sein Vater, ein geschickter und erfolgreicher Kaufmann, hatte dafür gesorgt, dass es seinem einzigen Sohn an nichts fehlte. Aus Pferden, Kamelen oder Falken hingegen, die anderen Männern den Glanz in die Augen und ein Vermögen aus den Taschen trieben, machte er sich nichts. Tiere waren ihm gleichgültig.
Vielleicht sollte er sich eine Frau wünschen? Ali schnalzte mit der Zunge. Das wäre etwas. Eine schöne junge Frau aus dem Harem des Emirs. Andererseits – Frauen, die ihm seine Bedürfnisse erfüllten, konnte er sich auch selbst an jeder Straßenecke Bucharas kaufen, dafür brauchte er keinen Wunsch zu vergeuden. Die eine Frau allerdings, die er sich in seinen Träumen vorstellte und die mehr als nur das Bett mit ihm teilen sollte, diese Frau musste wahrscheinlich erst geboren werden. Oder sollte es Nuh II. tatsächlich gelingen, irgendwo im Reich der Gläubigen eine Frau aufzutreiben, die seinen Ansprüchen genügte? Die zugleich schön und klug war, die er nicht nur lieben, sondern mit der er auch reden konnte, die seinen Gedankengängen zu folgen vermochte und ihn in seiner Arbeit inspirierte. Die ihm sogar, wenn es nötig war, widersprach und abends mit ihm Schach spielte oder gemeinsam mit ihm die Sterne durch sein Fernrohr beobachtete? Ali musste lachen. Diesen Wunsch sollte er wohl besser an einen der Geister aus den Märchen des Geschichtenerzählers richten; ein Sterblicher würde ihn ganz gewiss nicht erfüllen können. Er hatte sich ohnehin bereits damit abgefunden, eines Tages zu sterben, ohne jemals verheiratet gewesen zu sein.
Aber was konnte er sich dann wünschen? Ali streckte sich genussvoll in der Sänfte aus und verschränkte die Hände unter dem Kopf. Ein neues Fernrohr? Gleich darauf verwarf er den Gedanken wieder. Das war unnötig, denn das Fernrohr, welches er jetzt besaß, war in seiner Qualität kaum noch zu übertreffen. Bücher? Vielleicht war dieser Wunsch das Vernünftigste. Es gab immer noch viele Werke, die er nur zu gern seiner bereits umfangreichen Bibliothek hinzugefügt hätte – die Schriften des Epikur und des Parmenides zum Beispiel. Oder auch Homers Ilias, die aus unerfindlichen Gründen immer noch in seiner Sammlung fehlte. Die meisten dieser Werke waren seltene alte Folianten, die schwer zu bekommen waren, da sie so gut wie nie von den Händlern angeboten wurden. Oder lieber…
Alis Gedanken wurden jäh unterbrochen, als plötzlich das sanfte, beruhigende Schaukeln der Sänfte aufhörte. Die Trägersklaven waren stehen geblieben, und ein Diener schob die dichten Vorhänge zur Seite.
»Der Friede Allahs sei mit Euch, verehrter Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina!«, sagte er und verneigte sich tief. »Es ist alles für das Festmahl vorbereitet. Mein Herr, der edle Nuh II. ibn Mansur, Emir von Buchara, erwartet Euch bereits im Festsaal. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt?«
Ali versuchte, seine Aufregung zu verbergen, während er mit würdevoll
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