Die Steine der Fatima
nur Gerüchte, die sich nicht beweisen ließen. Vermutlich hatte Nuh II. mit dem Tod des Juden nichts zu tun. Mose war immerhin ein Mann Anfang sechzig, dessen schwaches Herz bereits öfter Grund zur Sorge gegeben hatte. Aber weshalb fiel Ali dann ausgerechnet jetzt diese unselige Geschichte ein?
»Ich möchte Euch vielmals für die Einladung danken«, fuhr Ali fort und hoffte, dass seine Stimme nicht zu sehr zitterte. »Es ist mir eine Ehre, an diesem Festmahl teilnehmen zu dürfen.«
Nuh II. lachte laut auf. »Verehrter Freund, die Ehre liegt bei mir. Der größte Arzt weit und breit ist heute mein Gast.« Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Keine Widerrede! Ich weiß, wovon ich spreche. Seht nur einmal meine Nase an. Ohne Eure Hilfe, ohne Eure Kunst wäre sie schief und krumm wieder zusammengewachsen, und ich wäre zum Gespött aller Gläubigen geworden. Nein, nein, Ihr seid viel zu bescheiden, Ali al-Hussein.« Nuh II. schlug Ali so kräftig auf die Schulter, dass ihm fast der Fez vom Kopf gefallen wäre. »Doch kommt und setzt Euch. Heute gebührt euch der Ehrenplatz.«
Der Emir stellte Ali die anderen Gäste vor, etwa ein halbes Dutzend Männer. Unter ihnen waren Ahmad al Yahrkun, der Großwesir, und ein paar hohe Beamte des Emirs, die Ali hin und wieder wegen kleinerer Leiden aufsuchten.
Sobald Ali sich gesetzt und ein Diener ihm seinen Mantel abgenommen hatte, klatschte der Gastgeber dreimal in die Hände. Die Musiker verneigten sich und begannen eine leise, unaufdringliche Melodie zu spielen, während Sklaven die verschiedensten Leckerbissen auf Platten, Tabletts und Schüsseln hereintrugen. Sie gingen zwischen den Gästen umher, und jeder konnte sich nehmen, was und wie viel er wollte. Es gab würzige, mit Schafskäse und Fleisch gefüllte Pasteten, in Knoblauch eingelegtes Gemüse, kleine gegrillte Lammspieße mit einer scharfen Soße, mit Minze gewürzte Hühnchenschenkel, köstlichen Hirsebrei, mit Gurken und Knoblauch vermischten Joghurt, Buchweizengrütze, gebratene wilde Enten, noch ofenwarme knusprige Sesamfladen und vieles mehr. Ali war kaum in der Lage, die Fülle der Speisen zu überblicken. Jedes Mal, wenn ein Sklave ihm von einer Schüssel oder Platte etwas anbot, hatte er den Eindruck, dies sei das Köstlichste, was er bisher in seinem Leben gegessen hatte. Er begann den Emir um seinen Koch zu beneiden. Und er überlegte, ob er sich nicht den Koch wünschen sollte, falls Nuh II. ihn nach einem Wunsch fragte.
Als sie schließlich alle so viel gegessen hatten, dass in ihren Bäuchen wirklich kein Bissen mehr Platz hatte, klatschte Nuh II. erneut in die Hände und ließ Mokka servieren. Satt und zufrieden lehnte sich Ali auf seinem Sitzpolster zurück und nippte vorsichtig an dem heißen, fast schwarzen Getränk, das ein Sklave aus einer hohen, schlanken Kupferkanne in kleine Tassen goss. Der Mokka war süß und stark, und bereits nach dem ersten Schluck spürte Ali, wie die Müdigkeit, die sich nach dem ausgedehnten, üppigen Mahl seiner bemächtigen wollte, ihn wieder verließ. Den anderen Gästen schien es ähnlich zu gehen, denn die Gespräche, die bereits fast eingeschlafen waren, flammten wieder auf. Besonders überrascht war Ali von der Redseligkeit Ahmad al-Yahrkuns. Er kannte den Großwesir nur als schweigsamen, stets ein wenig mürrisch dreinblickenden Mann. Aber an diesem Abend lächelte er und steuerte zu jedem Gespräch etwas bei – und es handelte sich dabei keinesfalls um Ermahnungen oder Suren aus dem Koran. Vermutlich habe ich ihn bislang nie richtig kennen gelernt, dachte Ali und trank wieder einen kleinen Schluck des köstlichen Mokkas.
Nuh II. nickte den Musikern zu, und deren Leiter verbeugte sich ehrerbietig. Dann wurden die Trommeln schneller geschlagen, die Flöten und die Laute spielten lauter und fröhlicher. Ali merkte, wie der Rhythmus und die Melodie ihn erfassten. Am liebsten hätte er im Takt in die Hände geklatscht, doch in diesem vornehmen Kreise schickte sich das nicht. So gestattete er sich lediglich, mit dem Fuß zu wippen, der ohnehin unter einer Falte seines weiten Gewands versteckt war. Als die Musiker ihr Lied beendet hatten, war es einen Augenblick still im Festsaal.
Dann erhob eine einzelne Flöte ihre Stimme, ein lang gezogener, verführerischer Ton, weich und samten wie die Nacht oder die Umarmung einer Frau. Erwartungsvoll setzte Ali sich auf, und auch die anderen Gäste begannen, aufgeregt zu tuscheln. Und tatsächlich – sie brauchten
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