Die Steine der Fatima
Mann, mit dem ich mein Leben teilen könnte. Und das ist die volle Wahrheit.«
Beatrice lächelte und schmiegte sich an ihn. Arm in Arm schliefen sie ein.
Zwei Tage später wurde Ali mitten in der Nacht zu einem hochgestellten Patienten gerufen, der über Magendrücken klagte. Beatrice zündete im Schlafgemach die Öllampen an und machte es sich auf einem der Sitzpolster bequem, um auf Alis Rückkehr zu warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, holte sie den Stein der Fatima aus seiner Schatulle und betrachtete ihn. Plötzlich strich ein Windhauch durch das Zimmer und ließ das Licht der Lampen flackern. Beatrice erschrak und setzte sich auf. Woher kam der Wind? Sie hatte doch alle Fenster geschlossen. Vorsichtshalber stand sie noch einmal auf und überprüfte die Fenster. Sämtliche Läden waren fest verschlossen, und keine Ritze ließ auch nur das geringste Lüftchen hindurch. Da spürte sie es erneut – ein kühler, frostiger Hauch, der über ihre Wange strich. Schaudernd zog sie die Schultern zusammen und ließ sich wieder auf dem Sitzpolster nieder. Oder sollte sie sich ins Bett legen und dort auf Ali warten? Im Bett wäre es sicherlich wärmer. Noch bevor sie diesen Gedanken in die Tat umsetzen konnte, wehte der Wind wieder durch das Zimmer, und die Öllampen flackerten. Doch diesmal beruhigten sich die Flammen nicht. Sie zuckten unbeständig hin und her, verloschen beinahe, flammten wieder auf und warfen im Raum seltsame, furchteinflößende Schatten. Beatrice setzte sich kerzengerade hin. Hatte sie ein Déjà-vu? Dies war die gleiche Situation wie damals vor unendlich langer Zeit in der Schleuse.
Sie bekam Angst. Und im gleichen Maße, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann, wurde das Flackern der Öllampen heftiger, bis es dem Leuchten einer Stroboskoplampe glich. Beatrice schloss die Augen und verschränkte ihre Hände. Hinter ihren Lidern konnte sie noch deutlich das flackernde Licht wahrnehmen, das unaufhaltsam schneller wurde. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Wo würde es sie diesmal hinbringen? Wo würde sie das nächste Mal aufwachen? In welche groteske Situation würde sie sich dann einfinden müssen? In diesem Augenblick wünschte sie sich, sie hätte den Stein der Fatima nie gesehen. Warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe das Leben führen lassen, das sie gerade lebte? Sie war doch zufrieden, sie war glücklich, sie liebte Ali, und er liebte sie. Was denn noch? Während Beatrice diese Gedanken durch den Kopf schossen, wurde ihr langsam übel. Ein heftiger Drehschwindel packte sie. Krampfhaft hielt sie sich an dem Sitzpolster fest, als könnte das Kissen sie halten und verhindern, dass sie in diesen fürchterlichen dunklen Strudel hineingesogen würde, der sich um sie herum zu bilden schien.
»Allah, bitte nicht! Bitte nicht schon wieder!«, hörte sie sich sagen. Gleichzeitig wusste sie, dass die Ereignisse nicht mehr aufzuhalten waren. Tränen liefen ihr über die Wangen. Wohin? Was würde jetzt mit ihr geschehen? Dann verlor sie das Bewusstsein.
18
Stimmen, laute aufgeregte Stimmen umgaben Beatrice. Sie sprachen so schnell durcheinander, dass sie sie nicht verstehen konnte. Dann spürte sie einen schmerzhaften Stich an ihrem Handgelenk. Unwillkürlich zuckte sie zusammen.
»Halleluja, sie ist wieder bei uns!«, rief eine männliche Stimme. Sie klang fremd und gleichzeitig vertraut.
Beatrice brauchte eine Weile, bis sie begriff, dass dieser Mann kein Arabisch gesprochen hatte. Das war Deutsch! Verwundert schlug sie die Augen auf und wurde sogleich von dem grellen Licht einer Leuchtstoffröhre über ihr geblendet. Einige Köpfe beugten sich über sie, und blinzelnd schaute sie in besorgte, freundliche Gesichter, Gesichter, die ihr irgendwann einmal, in einem anderen Leben, vertraut gewesen waren – Susanne, Heinrich, Stefan…
»Willkommen daheim!«, sagte Stefan, und die Erleichterung war ihm deutlich anzusehen. »Schön, dass du wieder bei Bewusstsein bist.«
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Wir haben dich bewusstlos in der Schleuse gefunden. Vermutlich hast du einen Kreislaufkollaps erlitten und bist mit dem Kopf auf den Kacheln aufgeschlagen. Deinen Kopf ziert eine ziemlich dicke Beule.«
Beatrice tastete vorsichtig ihren Kopf ab. Da war in der Tat eine große, schmerzhafte Schwellung direkt über ihrem rechten Auge. Dann sah sie an sich hinab. In ihrem Arm steckte eine Dauerkanüle, die bereits mit einem Schlauch und einer Flasche Kochsalzlösung verbunden
Weitere Kostenlose Bücher