Die Steine der Fatima
erste Suchwort eingab: Buchara. Es fanden sich nicht besonders viele Einträge unter diesem Stichwort, sodass Beatrice keine Mühe hatte, einen nach dem anderen durchzugehen. Dabei erfuhr sie, dass Buchara eine Stadt in Usbekistan war und die Geburtsstadt Avicennas, des wohl berühmtesten Arztes und Philosophen der mittelalterlichen arabischen Welt. Aus reiner Neugierde gab Beatrice als nächsten Suchbegriff Avicenna ein. Hier existierten schon viel mehr Einträge. Und gleich der erste war ein Volltreffer – ein Tritt in die Magengrube. Beatrice wurde übel, und ihre Hände begannen zu zittern. Sie wollte ihren Augen nicht trauen, aber dort stand wirklich in gut lesbaren Buchstaben: »Avicenna wurde im Jahre 978 (367 nach arabischer Zeitrechnung) in Buchara als Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina geboren.« Für einen Augenblick hörte ihr Herz auf zu schlagen. Das konnte doch nicht wahr sein! Das war doch unmöglich! Hastig las Beatrice weiter. »Er verließ Buchara um das Jahr 1000 (389), um in Bagdad seine Studien fortzusetzen. Er wurde schließlich zu einem über die Grenzen der arabischen Welt hinaus bekannten Arzt, dessen Lehren auch im christlichen Europa Verbreitung und Anerkennung fanden.« Beatrice ging auch alle weiteren Einträge durch, aber jeder schien es nur zu bestätigen: Avicennas arabischer Name war der von Ali, ihrem Ali, mit dem sie im Traum geredet und das Bett geteilt hatte – oder war es am Ende doch kein Traum gewesen?
Die folgenden Stunden verbrachte Beatrice mit Recherchen am Computer. Sie überprüfte alles, was sie in der Zeit ihrer Bewusstlosigkeit erlebt zu haben glaubte, Namen, Ereignisse, Speisen, Ausstattung. Zu diesem Zweck öffnete sie Datenbanken von Universitäten in der ganzen Welt. Mehrmals musste sie ihre Bankverbindung angeben, weil der Zugang zu den Dateien kostenpflichtig war, und an die Höhe ihrer Telefonrechnung wollte sie lieber nicht denken. Aber letztlich war es ihr auch egal, denn im Verlauf ihrer Recherchen erhielt sie mehr und mehr die Gewissheit, dass sie nicht einfach nur geträumt haben konnte. Ein Detail konnte man irgendwo aufgeschnappt haben und in einen Traum einbauen. Ein paar weitere ließen sich mit ein bisschen gesundem Menschenverstand hinzudenken. Diese Fülle an stimmigen Fakten jedoch konnte sich niemand ausdenken, das war unmöglich.
Plötzlich hatte Beatrice eine Idee. Da war etwas, das sie bisher noch nicht überprüft hatte – die Sprache. Und im Satellitenprogramm des Fernsehens gab es unter anderem auch einen arabischen Sender. Normalerweise zappte sie jedes Mal darüber hinweg, weil sie ihn ohnehin nicht verstand, aber diesmal wählte sie ihn bewusst an. Wenn sie sich die ganze Geschichte in Buchara nicht eingebildet hatte, dann würde sie diesen Sender jetzt auch…
»…und dein Vater, was sagt dein Vater dazu?«
»Ach, was kann er schon sagen? Ich bin dem Kaufmann Omar al-Nassim versprochen. Er wird…«
Mit zitternder Hand schaltete Beatrice den Fernseher aus. Kerzengerade und wie versteinert saß sie auf ihrem Sofa und starrte auf den dunklen Bildschirm. Der arabische Sender hatte gerade einen Spielfilm gezeigt. Wie immer war es ein Streifen in seltsamen, kitschigen Farben mit überlautem Ton. Das alles störte sie nicht, vermutlich gab es genügend Menschen auf dieser Welt, die solche Filme schön und sehr unterhaltsam fanden. Aber sie hatte die Schauspieler verstanden, jedes einzelne Wort! Darüber hinaus war ihr sogar aufgefallen, dass die Frau einen leichten, aber sehr attraktiv klingenden Sprachfehler hatte.
Beatrice schloss die Augen und stützte den Kopf in die Hände. Ihr wurde erneut schwindlig, und die Kopfschmerzen setzten wieder ein. Wie konnte das angehen? Wie konnte ein Mensch innerhalb weniger Stunden, sozusagen im Schlaf, historische Fakten sammeln und ganz nebenbei eine ihm komplett fremde Sprache erlernen, wenn nicht… ja, wenn nicht…
»Ein Zeitsprung!«, keuchte Beatrice. »Es muss so etwas in der Art gewesen sein, eine andere Möglichkeit gibt es nicht, auch wenn ich das nicht glauben kann.«
Beatrice sprang auf und wühlte aus ihrer Hosentasche den Stein heraus, den ihr die alte arabische Patientin zugesteckt hatte. Sie betrachtete ihn eingehend. Das Licht ihrer Stehlampe brach sich in dem wunderschönen Saphir und versprühte blaue Funken. Der Stein der Fatima! Dieses Stichwort war das Einzige, das sie im Internet nicht gefunden hatte. Was hatte Samira über diesen Stein gesagt? Er habe unbekannte
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