Die Steine der Fatima
Vermutlich hatte Saddin endlich seinen Auftrag ausgeführt. Ahmad pries Allah. Dieser Nomade war zwar ein unverschämter Bursche, der sich ständig über ihn lustig machte und ihn verspottete, aber er war zuverlässig. Er erfüllte seine Aufträge stets überaus gewissenhaft und diskret. Und dass Ahmad erst jetzt, nach so langer Zeit, etwas von ihm hörte, bedeutete vermutlich nur, dass Saddin sich mit der Beseitigung der Leiche Mühe gegeben hatte. Niemand würde je erfahren, wo dieses blonde Weib geblieben war. Schon bald würde er den Stein der Fatima, dieses wertvolle Kleinod, in seinen Händen halten, und dann würde sein Name in die Annalen der Geschichte als Wohltäter der Gläubigen eingehen. Und jedes Kind würde ihn kennen, Ahmad al-Yahrkun, jenen Mann, dem es gelungen war, die zerstrittenen Söhne Allahs wieder zu vereinen.
Ahmad rollte das Papier so hastig auseinander, dass er es fast zerrissen hätte. Als es dann endlich ausgebreitet vor ihm lag, stutzte er. Irgendetwas war anders an diesem Schreiben, etwas passte nicht in das gewohnte Bild. Es dauerte eine Weile, bis Ahmad herausfand, was ihn störte. Er kannte Saddin als einen Mann, der sich gern kurz fasste, selten enthielt eine Botschaft des Nomaden mehr als zwei Zeilen. Dieses Schreiben jedoch war so lang, dass es kaum in die Röhre gepasst hatte. Ahmads Hände wurden feucht und zitterten vor plötzlicher Nervosität, sodass er das Papier auf den Tisch legen und mit beiden Händen festhalten musste, um es lesen zu können.
»Der Friede Allahs sei mit Euch, Ahmad al-Yahrkun! Ich wünschte, ich wäre in der Lage, Euch diese Nachricht persönlich zu überbringen. Meine Geschäfte zwingen mich jedoch, Buchara zu verlassen, sodass ich diese Botschaft nur einmal mehr der Taube anvertrauen kann. Ich möchte Euch mitteilen, dass sich der Saphir, der Stein der Fatima, in Sicherheit befindet. Ich habe zwar jetzt nicht die Gelegenheit, ihn unserer Vereinbarung gemäß Euch zu geben, doch ich versichere Euch, dass ich das tun werde, sobald ich nach Buchara zurückkehre. Was die anderen Punkte Eures Auftrags angeht, so kann ich Euch bestätigen, dass alles zur vollen Zufriedenheit ausgeführt wurde. Verzeiht, dass es länger gedauert hat, als Ihr es von mir gewohnt seid, aber widrige Umstände zwangen mich zu besonderer Vorsicht und ungewöhnlichen Maßnahmen. Um meinen Lohn braucht Ihr Euch derzeit keine Gedanken zu machen. Als Zeichen meiner Wertschätzung überlasse ich Euch die Überbringerin dieser Nachricht. Möge die Taube Euch noch weiterhin gute Dienste leisten und Euch an mich erinnern. Seid gegrüßt, Ahmad al-Yahrkun. Möge Allah Euch reich belohnen!«
Mindestens ein Dutzend Mal las Ahmad diesen Brief, bis er ihn endlich begriffen hatte. Saddin hatte den Stein der Fatima, seinen heiligen Stein! Die Erde begann sich um ihn zu drehen, der Boden unter seinen Füßen wankte. Ahmad zerknüllte den Brief zu einer kleinen Kugel. Dieser Mistkerl, dieser Schurke, dieser Dieb! »Möge die Taube… Euch an mich erinnern…« Voller Wut stürmte Ahmad zum Fenster, riss es auf und packte die graue Taube. Noch ehe das Tier einen Ton von sich geben konnte, hatte er ihm auch schon den Hals umgedreht und es aus dem Fenster geworfen. Sollten sich die Ratten um den Kadaver kümmern. Sollten sich die Ratten um Saddins Kadaver kümmern. Verflucht sollte er sein und seine Nachkommen, bis in alle Ewigkeit.
Aufgebracht lief Ahmad durch das Zimmer. Er konnte sich genau vorstellen, was geschehen war. O ja, er sah alles genau vor sich. Saddin hatte die Sklavin entführt. Er hatte sie getötet, den Stein an sich genommen und war anschließend in die Wüste gegangen, um den Leichnam dieser Hexe zu vernichten. Und da hatte er es erfahren. Vielleicht hatte es ihm dieses Weib noch vor ihrem Tod anvertraut, vielleicht war er auch klug genug, um selbst herauszufinden, welche Macht der Stein der Fatima besaß. Und dann war er wieder nach Buchara zurückgeschlichen, heimlich, in der Nacht, und hatte in aller Stille seine Zelte abgebrochen, um für immer zu verschwinden. Mit seinem Stein! Ahmad heulte fast vor Wut und Enttäuschung. Er glaubte nicht einen Augenblick daran, dass Saddin die Absicht hatte, jemals wieder nach Buchara zurückzukehren. Dieser verfluchte Schurke! Dieser Sohn einer räudigen Hündin! Der Stein der Fatima gehörte nicht in die Hände eines Diebs, er gehörte Allah.
Ahmad blieb abrupt stehen. Er musste ihm nach, im Namen Allahs musste er sich den heiligen
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