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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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nie von ihren Lehrern oder Mitschülern; und manchmal wusste sie die einfachsten Dinge nicht.
    Nun, vermutlich hatte sie Buchara niemals verlassen, und der Rest der Welt hatte sie bislang nicht interessiert.
    Beatrice setzte sich neben sie. Die Bank stand am Rande eines kleinen Teichs. Der Mond war bereits aufgegangen, und seine schmale, orientalisch-perfekte Sichel spiegelte sich in dem klaren, stillen Wasser. Zwischen den Obstbäumen, Rosenbüschen, Lilien und Malven am Ufer konnte man die Kuppeln und Türme des Palastes sehen. Die Luft war erfüllt vom Blütenduft. Mücken tanzten auf der Wasseroberfläche, und manchmal sprang ein Fisch nach den Insekten.
    Wie ein Bild aus einem Katalog für Luxusreisen!, dachte Beatrice.
    Leider war dies kein Urlaub. Der Palast war kein Fünfsternehotel. Und sie hatte sich nichts davon selbst ausgesucht. Mirwat hatte in ihrer Unbefangenheit wieder hervorgeholt, was Beatrice mühsam zu verdrängen versuchte – sie war eine Gefangene. Sie schloss einen Moment lang die Augen und schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Aber ein bitterer Geschmack blieb. »Ich wohne in Hamburg. Das ist eine große Stadt in Nord…« Beatrice brach ab, als ihr bewusst wurde, dass sie noch kein arabisches Wort für Deutschland kannte. »Eine große Stadt im Norden von Germanien«, vollendete sie ihren Satz. Wenn ihr Arabisch nicht reichte, konnte sie sich wenigstens mit Latein helfen.
    »Germanien? Wirklich?«, fragte Mirwat erstaunt.
    »Das überrascht mich aber. Nach allem, was man mir erzählt hat, scheint Germanien ein unzivilisiertes Land zu sein.«
    »Na, das will ich aber überhört haben!«
    »Verzeih, ich wollte dich nicht kränken. Bisher erzählte man mir jedoch nur von dichten Wäldern und wilden Tieren, nicht von großen Städten, Schulen und Universitäten. Ist es wahr, dass in Germanien die Menschen nur einmal in ihrem Leben baden, nämlich wenn sie geboren werden?«
    Beatrice lachte laut auf. Mirwat lebte wirklich hinterm Mond. Sie schien tatsächlich zu glauben, dass die Deutschen noch Keulen schwingend durch die Wälder sprangen und Wölfe jagten.
    »Nein. Auch bei uns sind die Regeln der Hygiene durchaus bekannt. Wir waschen und baden uns täglich.«
    Wenigstens die meisten von uns, fügte Beatrice in Gedanken hinzu und dachte an die Obdachlosen, die bei ihnen in der Notaufnahme landeten und von denen viele monatelang keinen Kontakt mit Wasser und Seife hatten. Oft genug zogen die Schwestern und Pfleger sie nicht nur mit Handschuhen, sondern auch noch mit Mundschutz aus, und die schmutzigen, stinkenden Kleidungsstücke wanderten auf direktem Weg in blauen Säcken auf den Müll.
    »Das ist ja interessant«, sagte Mirwat staunend. »Und es gibt sogar große Städte bei euch in Germanien? Sind sie etwa so groß wie Buchara?«
    Wieder musste Beatrice lachen. Wenn sie sich nicht täuschte, hatte Buchara höchstens zwanzigtausend Einwohner.
    »Selbstverständlich! Berlin, Frankfurt, Köln und Düsseldorf zum Beispiel, und natürlich Hamburg. Wir haben zwar nicht so große Städte wie die USA…«
    »USA?«
    »Ja, die…«
    Komisch, dachte Beatrice. Wie heißen die Vereinigten Staaten auf arabisch?
    »Na, Amerika. Du weißt doch – New York, Chicago, San Francisco…«
    Mirwat schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    Beatrice bekam langsam Zweifel. Vielleicht war ihr Arabisch doch nicht so gut, wie sie gedacht hatte.
    »Gibt es hier einen Atlas oder eine Landkarte?«, fragte sie. »Dann zeige ich es dir.«
    »Eigentlich dürfen wir das nicht«, sagte Mirwat zögernd. Sie dachte angestrengt nach. »Nuh II. ist heute den ganzen Tag auf der Jagd und wird nicht vor morgen zurückerwartet.« Plötzlich straffte sich ihr Körper, und ihre dunklen Augen begannen abenteuerlustig zu funkeln. »Ich werde uns eine Landkarte besorgen. Sei in drei Stunden, wenn sich alle anderen zur Ruhe begeben haben, bei mir.«

    Drei Stunden später klopfte Beatrice an Mirwats Tür. Mirwat öffnete ihr persönlich.
    »Komm schnell herein«, flüsterte sie, schaute rechts und links den Gang hinunter und zog die überraschte Beatrice hastig in ihr Zimmer. »Hat dich jemand gesehen?«
    »Nein, ich glaube nicht«, antwortete Beatrice und fing unwillkürlich an, ebenfalls zu flüstern. Sie kam sich vor, als wäre sie im Begriff, etwas überaus Verwerfliches zu tun. Dabei wollte sie doch nur Mirwat auf einer Landkarte etwas zeigen.
    »Ich habe Nirman

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