Die Steine der Fatima
hatte, stimmte nicht. Ahmad ibn Fadlan. Wo hatte sie diesen Namen schon mal gehört? Oder hatte sie diesen Namen gelesen? Aber wenn sie ihn gelesen hatte, musste es noch in Hamburg gewesen sein, denn seit sie hier war, hatte sie nichts Gedrucktes in den Händen gehabt, weder ein Buch noch eine Zeitung…
»Diese Karte ist auf dem neuesten Stand!« Mirwat wirkte ziemlich erbost und vergaß sogar, leise zu sprechen.
»Mirwat, es tut mir leid, ich wollte dich nicht…« versuchte Beatrice die Freundin zu beschwichtigen, doch Mirwat fiel ihr aufgebracht ins Wort.
»Mein Vater hat sogar mit dem Zeichner gesprochen. Die Angaben Ahmad ibn Fadlans gelten immer noch als die ausführlichsten und besten, was den Norden betrifft. Der Mann wird doch nicht lügen. Und außerdem, was verstehst du schon von Landkarten.«
»Ich gebe zu, ich verstehe wahrscheinlich wirklich nicht viel davon«, sagte Beatrice zerstreut. Das Gefühl im Magen verstärkte sich und wuchs zu einer Übelkeit heran. Da war dieser Name schon wieder. Woher kannte sie ihn bloß? Es hatte keinen Zweck, es wollte ihr einfach nicht einfallen. Aber vielleicht wusste Mirwat mehr? »Es tut mir wirklich leid, Mirwat. Vergiss einfach, was ich zu dir gesagt habe. Erzähle mir stattdessen lieber von diesem Ahmad ibn Fadlan.«
»Du kennst ihn nicht?« Mirwat schüttelte ungläubig den Kopf. »Dabei kennt ihn hier jedes Kind. Meine Brüder haben die Geschichten über ihn geliebt. Ahmad ibn Fadlan ist schon seit einigen Jahren tot. Aber als er ein junger Mann war, wurde er vom Kalifen von Bagdad auf eine lange Reise geschickt, die ihn schließlich zu den Nordmännern führte. Er hat dort…«
In diesem Augenblick fiel Beatrice wieder ein, woher sie diesen Namen kannte. Der dreizehnte Krieger, der Film von Michael Crichton. Sie liebte diesen Film und hatte den Roman mindestens schon dreimal gelesen. Beatrice wurde übel. Da stimmte doch etwas nicht! Mirwat wollte sie zum Narren halten.
»Aber Mirwat, das kann nicht sein. Du kannst doch nicht ernsthaft behaupten, dass sich eure Kartenzeichner immer noch nach seinen Angaben richten.«
»Warum denn nicht? Die Welt ändert sich nicht so schnell.«
Beatrice rang die Hände. »Nicht so schnell? Mirwat, dieser ibn Fadlan ist zwar eine historische Persönlichkeit, aber er hat irgendwann kurz vor der ersten Jahrtausendwende gelebt. Er ist schon seit fast tausend Jahren tot! Seit er die Nordmänner traf, wurden Amerika und Australien entdeckt. Das kann doch nicht an euch hier in Buchara vorübergegangen sein! Weißt du, welches Jahr wir gerade haben?«
»Natürlich! 389!«
Die erstaunte Antwort kam so prompt, dass Beatrice zusammenzuckte. Sie rechnete in Gedanken schnell nach. Offensichtlich war Mirwat davon überzeugt, dass sie sich in einem Jahr um die erste Jahrtausendwende herum befanden. Beatrice spürte, wie ihr Magen Purzelbäume schlug und ihr Dinge einfielen, auf die sie bislang kaum geachtet hatte. »Du irrst dich, Mirwat.« Keine Elektrizität. »Das stimmt nicht.« Keine modernen sanitären Anlagen. »Wir haben das Jahr 2001.« Keine Autos. »Hast du schon mal daran gedacht, zum Arzt zu gehen?« Kein Radio, kein Fernsehen, keine Bücher, keine Zeitschriften. »Du solltest dich untersuchen lassen.« Die antiquierten medizinischen Instrumente. »Vielleicht kann der Arzt…«
Beatrice brach ab. Sie erinnerte sich an die Frauen im Kerker des Sklavenhändlers, ihre schiefen Zähne, das vereiterte Auge. Sie erinnerte sich auch an die Hilflosigkeit des Arztes anlässlich Mirwats Unfall. Im Mittelalter hatte man natürlich keine Antibiotika gehabt, Luftröhrenschnitte waren damals unbekannt. Aber das war doch…
»Unmöglich!«, japste sie. Ihr Hals schnürte sich zu, sie bekam kaum noch Luft, der Herzschlag dröhnte in ihren Ohren. »Es ist das Jahr 2001!«
Dennoch – irgendwo in einem Winkel ihres Gehirns dämmerte die Erkenntnis, dass Mirwat, so unwahrscheinlich es auch klingen mochte, recht hatte. Es passte alles zusammen, fügte sich aneinander wie die richtigen Puzzleteile – die Männer, die mit Federkielen schrieben; die Mädchen, die Waschschüsseln und Wasserkrüge heranschleppten, anstatt die Dusche anzustellen oder Badewasser einzulassen; das Fehlen jeglichen Motorenlärms; Mirwats Unkenntnis über Deutschland und Amerika; die veraltete Landkarte und ihr hervorragender Zustand. Natürlich konnte Buchara auch eine mittelalterliche Enklave sein, eine Ansammlung von Freaks, die rigoros jeden Fortschritt
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