Die Steine der Fatima
ablehnten, ähnlich den Amish-People in Amerika. Allerdings wussten die Amish, dass es Autos, Strom und Fernseher gab, sie kannten die aktuelle Jahreszahl und wussten von der modernen Welt außerhalb ihrer eigenen Dörfer. Hier hingegen hörte man nicht einmal ein Flugzeug, das in der Ferne an Buchara vorbeiflog. Blieb also nur noch eine Möglichkeit übrig…
»Beatrice, was ist mit dir, du bist plötzlich so blass!«, rief Mirwat und ergriff besorgt ihre Hand. »Soll ich den Arzt holen?«
Beatrice schüttelte den Kopf und versuchte aufzustehen. Das Fenster! Ich brauche frische Luft!, dachte sie noch. Dann begann sich die Welt zu drehen und wurde schwarz.
Als Beatrice wieder zu sich kam, lag sie auf Mirwats Bett. Die Vorhänge des Baldachins waren zurückgezogen, die Fensterläden geöffnet. Ein frischer Luftzug wehte herein und vertrieb langsam den seltsamen Geruch nach verbranntem Stoff. Draußen war es immer noch dunkel, und Beatrice konnte die Sterne sehen. Es waren unendlich viele, mehr, als sie jemals gesehen hatte.
Mirwat beugte sich über sie und wischte ihr mit einem feuchten Tuch die Stirn ab.
»Was ist geschehen?«, fragte Beatrice leise.
»Du bist plötzlich ohnmächtig geworden. Dabei hast du die Lampe umgestoßen. Aber keine Angst«, beschwichtigte Mirwat sie sofort, »es ist nichts passiert. Die Landkarte ist unversehrt, und das kleine Brandloch in der Bettdecke wird niemandem auffallen.«
Natürlich! Die Landkarte und die Jahreszahl, die der Zeichner darauf vermerkt hatte. Als Beatrice alles wieder einfiel, wurde ihr erneut schwindlig. Konnte es sein, dass sie, eine moderne Frau Anfang dreißig, im Mittelalter gelandet war? Das klang nach Science-Fiction, nach Wurmloch, nach irgendeinem Fantasyroman oder einer verrückten Fernsehserie, aber doch nicht nach der Realität. Andererseits träumte sie nicht. Es war alles wirklich. Sie spürte die seidenen Laken, auf denen sie lag. Sie fühlte Mirwats Hand auf ihrer Wange. Sie roch sogar den Jasminduft, der von der Kleidung der Freundin ausging. Sie hatte zwei Monate lang jeden einzelnen Tag, jede einzelne Stunde erlebt. Sie hatte gegessen, geschlafen, geträumt… Plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen, und sie begann hemmungslos zu schluchzen.
»Soll ich nicht lieber doch den Arzt rufen?«, fragte Mirwat und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
Doch Beatrice schüttelte heftig den Kopf. Der Arzt war der Letzte, den sie jetzt sehen wollte. Allein die Erinnerung an seine große lederne Tasche mit den Gerätschaften, die eher Folterwerkzeugen als chirurgischen Instrumenten glichen, jagte ihr Schauer über den Rücken. Unter Umständen käme er sogar auf den Gedanken, das eine oder andere davon an ihr auszuprobieren.
Dass es sich möglicherweise bei den antiquierten Messern und Haken tatsächlich um die neuesten Errungenschaften der Medizin handeln mochte, versuchte sie vergeblich zu verdrängen. Ihr wurde übel.
»Das kann nicht wahr sein!«, stieß sie hervor. »Das ist doch völlig verrückt! Mirwat, bitte sage mir, dass du mich nur ein bisschen ärgern wolltest. Bitte sage mir, dass jetzt das Jahr 2001 ist!«
Mirwat sah sie traurig an und schüttelte langsam den Kopf. »Es tut mir wirklich leid, aber…«
»Nein!« Ihr Schrei gellte durch den Raum. »Du lügst! Das kann nicht wahr sein!« Sie warf die Decken ab und sprang auf.
»Wo willst du hin?«
»Ich muss jemand anderen fragen, egal, wen. Ganz gleich, ob jemanden hier im Palast oder auf der Straße. Irgendwer muss mir doch die Wahrheit sagen können.«
»Beatrice, tu das nicht!« Mirwat packte ihren Arm und hielt sie mit erstaunlicher Kraft zurück. »Wenn du jetzt gehst und ein anderer dich in diesem Zustand sieht, wird man dich für verrückt halten. Und dann werden sie dich einsperren oder fortjagen. Also sei bitte vernünftig und bleibe hier.«
Beatrice starrte auf den Boden. Eine innere Stimme sagte ihr, dass Mirwat recht hatte. Wenn dies eine Verschwörung war, dann steckten sowieso alle hier im Palast dahinter. Außerdem hatte man tatsächlich früher die psychisch Kranken in finstere Verliese gesperrt oder sie grausamer Torturen unterzogen. Man würde sicherlich nicht zimperlich mit ihr umgehen – falls dies hier das Mittelalter war. Sie setzte sich auf die Bettkante.
»Gut, so ist es richtig.« Mirwat atmete hörbar auf. »Ali al-Hussein sagte schon, dass es unter Umständen einen Rückfall geben könnte. Ich hatte bisher gehofft, dass er sich irrt!«
Doch
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