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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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weggeschickt«, sagte Mirwat und schob so leise wie möglich den Riegel vor die Tür. »Wir sind allein. Komm.«
    Sie zerrte Beatrice am Ärmel zu ihrem Bett. Im Zimmer war es ziemlich dunkel. Nur eine einzelne, winzige Öllampe, die Mirwat irgendwo hinter dem Vorhang ihres Betts aufgestellt hatte, spendete Licht. Die spärliche Beleuchtung reichte kaum aus, die Möbel zu unterscheiden. Beatrice fragte sich, was die Freundin vorhatte. Vorsichtig, um sich nicht an einer Tischkante zu verletzen oder über einen Teppich oder ein Kissen zu stolpern, tastete sie sich voran. Obwohl draußen finstere Nacht herrschte, waren die Fensterläden geschlossen. Mirwat hatte sogar die Vorhänge zugezogen, als fürchtete sie, dass jemand trotz der Dunkelheit von draußen hereinsehen konnte. Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten? Beatrice kam sich wie eine Verschwörerin vor, die eine Palastrevolte plante.
    Doch bevor sie Mirwat fragen konnte, schob die Freundin sie auf ihr Bett, zog hastig die Vorhänge des Baldachins zu und stellte die Lampe zwischen sie. Dabei schien es Mirwat keineswegs zu beunruhigen, dass die Öllampe jederzeit auf den weichen Matratzen umfallen und das Bett in Brand stecken konnte.
    »Hier ist die Karte«, flüsterte sie und kicherte vor Aufregung wie ein junges Mädchen.
    Beatrice warf einen zweifelnden Blick auf die schwankende Lampe und nahm dann die Rolle. Sie fühlte sich seltsam fest an, als ob es sich um ölgetränktes Pergament oder gar Leder handelte, wie es vor Jahrhunderten zur Herstellung von Landkarten verwendet worden war. Sie öffnete die Schnur, entrollte die Karte – und von einer Sekunde zur nächsten war es ihr egal, ob das Bett Feuer fing. Mit angehaltenem Atem starrte sie auf die Karte.
    Vor ihr lag die Welt, wie sie die arabischen Völker vor Jahrhunderten gesehen hatten. Da war der Vordere Orient, Euphrat und Tigris, ein Teil von Indien und Pakistan. Am Rande lagen Westeuropa, die Britischen Inseln waren nur eben angedeutet, ein seltsam geformtes Skandinavien beherrschte den Norden. Ehrfürchtig glitten ihre Finger über die Jahreszahl, die der Zeichner der Karte in die Ecke geschrieben hatte – 387. Wenn man die muslimische Zeitrechnung berücksichtigte, die mit dem Jahr 622 begann, war diese Karte fast eintausend Jahre alt. Es war die älteste Karte, die Beatrice jemals gesehen hatte. Dabei war sie in einem mehr als hervorragenden Zustand.
    Beatrice erinnerte sich daran, dass ihre Tante auf einer Auktion einmal eine Landkarte ersteigert hatte. Die war nur fünfhundert Jahre alt und nicht einmal halb so gut erhalten gewesen wie diese hier. Das Leder war fleckig und an zwei Stellen eingerissen, die Farbe war vergilbt und die Tinte zum Teil kaum lesbar. Ihre Tante hatte zwanzigtausend Mark ausgegeben und den Handel damals sogar noch ein Schnäppchen genannt. Was mochte dann wohl diese Karte wert sein?
    »Mirwat, woher hast du diese Karte?«, fragte Beatrice aufgeregt.
    »Ich habe sie aus der Truhe in Nuhs Schreibzimmer genommen«, antwortete Mirwat. »Wieso? Stimmt etwas nicht?«
    Beatrice starrte wieder die Karte an, Schauer liefen über ihren Rücken.
    »Diese Karte ist uralt!«
    »Nein, du irrst dich«, entgegnete Mirwat und schüttelte den Kopf. »Mein Vater hat sie Nuh II. letztes Jahr zu unserer Hochzeit geschenkt. Und er würde ihm doch keine alte Karte schenken!«
    »Du verstehst mich falsch, Mirwat. Die Karte ist nicht veraltet. Ich meine, natürlich ist sie veraltet im modernen Sinne. Ich würde mich nicht nach dieser Karte richten, wenn ich unterwegs wäre. Viele Grenzen sind falsch, Amerika und Australien fehlen ganz. Aber sie ist alt, wirklich alt, eine Antiquität! Wenn die Jahreszahl tatsächlich stimmt, wovon ich ausgehe, ist sie sogar über tausend Jahre alt. Kannst du dir vorstellen, wie wertvoll so eine Karte ist?«
    Mirwat schüttelte heftig den Kopf. »Tausend Jahre? Du verwirrst mich. Mein Vater hat sie vor zwei Jahren auf einer seiner Handelsreisen in Basra gekauft. Der Kartenschreiber hatte sie gerade erst nach den Angaben von Ahmad ibn Fadlan fertiggestellt und…«
    »Ach, dann ist es nur eine Kopie.« Beatrice konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen. Dies war nur eine Replik, auch wenn sie erstklassig ausgeführt war. Aber warum hatte sie das nicht erkannt? Normalerweise hatte sie einen guten Blick dafür. Während Beatrice noch darüber nachdachte, breitete sich in ihrem Magen ein seltsames Gefühl aus. Irgendetwas an dem Namen, den Mirwat genannt

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