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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Beatrice achtete gar nicht auf ihre Worte. Sie mochte sich nicht vorstellen, dass Mirwat sie derart täuschen könnte. Sie hatte mit dieser Frau in den vergangenen Wochen so viel Zeit verbracht, dass sie schon fast glaubte, sie seit einer Ewigkeit zu kennen. Dennoch, für Nuh II. würde Mirwat wahrscheinlich alles tun – sogar eine Freundin belügen, wenn er es verlangte. Aber dann, das wusste Beatrice mit Sicherheit, würde Mirwat ihr auf eine direkte Frage nicht in die Augen sehen können. Es kam also auf einen Versuch an.
    »Mirwat, sieh mich an. Bitte, ich flehe dich an, sage mir die Wahrheit.« Beschwörend nahm sie die Hände der Freundin. »Welches Jahr haben wir jetzt?«
    »Wir schreiben das Jahr 389«, antwortete Mirwat ruhig und sah Beatrice so gerade und offen ins Gesicht, dass sich jeder Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit auf der Stelle in Luft auflöste.
    »Dann ist es also doch wahr«, murmelte Beatrice und starrte auf die ineinander verschränkten Hände in ihrem Schoß. »Ich bin tatsächlich im Mittelalter gelandet, wie und wodurch auch immer.«
    Mirwat sah sie verständnislos an. »Wovon sprichst du? Was meinst du damit?«
    »Ich bin…« Beatrice brach ab. Was sollte sie der Freundin erzählen? Dass sie eine Zeitreisende, eine Frau aus der Zukunft war? Wie sollte sie Mirwat etwas erklären, was sie selbst nicht verstand – und nicht einmal glauben konnte? Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie selbst reagieren würde. Angenommen, auf die Aufnahmestation käme ein Patient, der behauptete, er könne es sich zwar nicht genau erklären, aber eigentlich würde er aus dem Jahr 2999 stammen. Sie würde ohne zu zögern die psychiatrischen Kollegen anrufen und auf eine Verlegung in die Psychiatrie drängen. Nun war dies im Mittelalter natürlich nicht möglich. Im christlichen Europa hätte man sie vermutlich als vom Teufel besessen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Was mochte man wohl in einem islamischen Land mit ihr anstellen? Sie wollte gar nicht daran denken. Zum Glück war Mirwat bisher die Einzige, die andeutungsweise davon wusste. Und sie musste die Einzige bleiben.
    »Was ist mit dir los?«, fragte Mirwat besorgt. »Du bist heute irgendwie seltsam. Erst die Sache mit der Karte, dann wirst du ohnmächtig, schließlich beginnst du zu weinen und redest lauter unverständliches Zeug. Was ist denn…«
    »Es ist nichts«, antwortete Beatrice rasch. Sie brauchte jetzt vor allem eins – Zeit und Ruhe zum Nachdenken. »Ich bin müde und habe Kopfschmerzen. Der Wind war heute Abend ziemlich frisch. Vielleicht habe ich mich im Garten ein wenig verkühlt. Ich sollte mich in mein Zimmer zurückziehen und schlafen.«
    Es war eine schwache Ausrede – der Wind war ausgerechnet an diesem Abend milder gewesen als die Tage zuvor. Aber sie hoffte, dass Mirwat das nicht bemerkt hatte.
    »Wahrscheinlich ist das wirklich das Beste«, sagte Mirwat und warf Beatrice einen verständnisvollen Blick zu. Offensichtlich hatte sie ihre Notlüge durchschaut und akzeptierte sie. »Du bist sicher, dass ich nicht doch den Arzt rufen soll?«
    »Nein, Mirwat, das ist unnötig. Ich werde mich gleich hinlegen. Und du wirst sehen, morgen geht es mir schon viel besser.«
    »Wie du willst. Aber wenn du mich brauchst, rufe nach mir.« Mirwat geleitete Beatrice hinaus. Sie wollte die Tür gerade schließen, da drehte sich Beatrice noch einmal um.
    »Mirwat, bitte erzähle niemandem von meiner seltsamen Stimmung. Ich möchte nicht, dass alle glauben…«
    Mirwat nickte.
    »Du kannst dich auf mich verlassen. Leg dich jetzt schlafen. Morgen wird es dir sicherlich besser gehen!«
    Beatrice hörte, wie die Tür leise hinter ihr geschlossen wurde und Mirwat den Riegel wieder vorlegte. Es herrschte völlige Stille, der ganze Palast schien tief und fest zu schlafen. Der Gang wurde nur von ein paar Öllampen, die in großen Abständen an den Wänden hingen, spärlich erleuchtet. Beatrice starrte die Lampen an, als würde sie sie zum ersten Mal sehen. Wieso nur war ihr das Fehlen von Glühbirnen nicht viel eher aufgefallen? Sie seufzte und tastete sich dann durch das Halbdunkel zu ihrem Zimmer vor.

    Natürlich konnte Beatrice in dieser Nacht nicht schlafen. Rastlos wanderte sie durch ihr Zimmer. Sie nahm jeden einzelnen Gegenstand in die Hand und prüfte ihn in der Hoffnung, einen Fehler zu entdecken – vielleicht einen Reißverschluss an einem Kissenbezug, einen Druckknopf an einem Kleid, synthetische Fasern in den Vorhängen, Wäschezeichen

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