Die Steine der Fatima
Augenblick musste Ali über sich selbst lächeln. Er glaubte eigentlich nicht an derartige Erscheinungen – Dämonen, Dschinnen, Geister und Feen waren nichts als Märchengestalten. Man konnte mit ihnen Kinder und einfache Gemüter ängstigen, für ihre Existenz gab es jedoch keine rationalen Beweise. Dass er allerdings diese Möglichkeit, wenn auch nur für einen Augenblick, ernsthaft in Erwägung gezogen hatte, zeigte ihm das ganze Ausmaß seiner Verwirrung. Diese Frau hatte ihn durcheinander gebracht. So sehr, dass er darüber sogar seine eigenen Überzeugungen vergaß.
»Nein, nein, es ist nichts«, sagte er und versuchte, sich zu beherrschen. Zu Hause konnte er sich seinen Gedanken und Spekulationen hingeben und sich vor innerer Verzweiflung die Haare raufen, jedoch nicht in Gegenwart des Emirs. »Ich war in Gedanken nur mit einem überaus komplizierten Fall beschäftigt.«
Nuh II. riss vor Entsetzen die Augen auf. »Meine Sklavin?! Was ist mit ihr? Könnt Ihr ihr helfen, oder muss ich mich von ihr trennen? Ist es etwas Ansteckendes? Ist vielleicht schon mein ganzer Harem…«
Ali nahm sich zusammen. »Aber nicht doch, Nuh II. ibn Mansur«, sprach er beruhigend auf den aufgeregten Emir ein. »Es ist nichts dergleichen. Ihr braucht Euch überhaupt keine Sorgen zu machen. Eure Sklavin ist gesund.« Nuh II. sah ihn ungläubig an. »Sie ist gesund?« Ali nickte. »Ja, sie ist vollkommen gesund.«
»Dann kann ich sie also endlich zu mir holen lassen?«
»Ja, das könnt Ihr«, antwortete Ali ohne ehrliche Überzeugung. Im Gegenteil, er hatte plötzlich das ungute Gefühl, dadurch eine Katastrophe heraufzubeschwören. Wie konnte er seine Worte zurücknehmen, ohne sich selbst zu widersprechen? »Aber ich muss Euch warnen. Seid vorsichtig. Diese Frau ist nicht wie andere Sklavinnen. Sie stammt aus Germanien, und ihre Sitten sind ein wenig roh und fremdartig. Vermutlich wird sie sich nicht so verhalten, wie Ihr es erwartet. Mich hat sie auch ein paar Mal überrascht.«
»Glaubt Ihr etwa, dass diese Sklavin gefährlich ist?« Ali nickte eifrig. »Unter Umständen. Ihr solltet Sie auf keinen Fall in Euer Schlafgemach holen, ohne dass genügend Wachen bereitstehen.« Ali war froh, dass ihm diese Wendung eingefallen war. Was kümmerte ihn das lüsterne Leuchten in den Augen des Emirs? Sollte Nuh II. doch ruhig von wilden Schlachten in seinem Bett träumen, gegen die die Nächte mit Mirwat zu harmlosen Spielereien herabsanken. Er, Ali, hatte seine Schuldigkeit getan. Er hatte den Emir gewarnt, und wenn nun doch etwas geschah – niemand würde ihn dafür zur Verantwortung ziehen können.
Ali verabschiedete sich von Nuh II. der es plötzlich recht eilig hatte, sich von seinem Gast zu trennen, und wurde von einem Diener hinausgeleitet. Im Hof des Palastes vor dem Tor stand schon die Sänfte bereit, die Ali nach Hause bringen sollte. Während die Träger ihn ruhig und sicher durch die Straßen Bucharas beförderten, dachte Ali nach. Die Wunde, die ihm die seltsame Frau geschlagen hatte, schmerzte noch immer. Wer war sie? Ein Kräuterweib? Vielleicht. Das war unter Umständen möglich. Aber sie konnte doch niemals ein Arzt sein.
Als ihn die Träger schließlich abgesetzt hatten und ihn wieder die Ruhe und der Frieden seines eigenen Hauses umfingen, traf Ali einen Entschluss. Kaum dass er sich seines Mantels entledigt hatte, ließ er seinen Laufburschen zu sich rufen. Ihm gab er den Auftrag, zur Bibliothek von Buchara zu gehen und dort alles, was in Buchara und Umgebung über die Sitten und Bräuche in Germanien geschrieben war, zusammenzutragen und ihm zu bringen. Vielleicht würde er auf diesem Wege erfahren, was es mit dieser Frau auf sich hatte.
Ahmad al-Yahrkun stand im Schlafgemach des Emirs und betrachtete das Werk seines Herrn mit gerunzelter Stirn. Nuh II. hatte alles sorgfältig vorbereiten lassen. Ein halbes Dutzend kleine Öllampen tauchten den Raum in ein gedämpftes Licht, frische seidene Laken lagen auf dem breiten Bett, das durch die geschickten Hände der Diener nach Rosen und Jasmin duftete, mit Orangenblüten gefüllte Messingschalen standen am Fußende des Bettes. Alles deutete auf eine erfüllende Nacht hin, und Ahmad hätte sich keine Sorgen gemacht, wenn da nicht die Felle auf dem Boden und die schweren Eisenketten an den Bettpfosten gewesen wären. Nachdenklich strich er sich durch seinen allmählich ergrauenden Bart. Was hatte Nuh II. vor? Wozu brauchte er die Felle und Ketten?
Seit Nuh II. ibn
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