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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Triumph zu gönnen, ihn aus der Fassung gebracht zu haben. Doch er spürte, wie sich sein Gesicht mit flammender Röte übergoss. »Ich war nur in Gedanken versunken.«
    Was um alles in der Welt machte er? Weshalb rechtfertigte er sich vor dieser Frau? Er musste den Verstand verloren haben. Oder hatte sie ihn etwa verhext?
    Ali glaubte, sich gleich übergeben zu müssen. Hätte er sich doch nur beim Mahl mit dem Emir zurückgehalten. Hastig drehte er sich um, ging zu seiner Tasche und atmete ein paar Mal tief durch. Tatsächlich besserte sich die Übelkeit etwas, aber sein Ärger über sich selbst blieb. Warum nur konnte er mit dieser Frau nicht fertig werden?
    »Lege deinen Schleier ab, ich will dich untersuchen«, befahl er ihr barsch, während er in seiner Tasche nach etwas kramte, von dem er selbst nicht wusste, was es war. Aber wenigstens brauchte er sie dabei nicht anzusehen. Und diese Maßnahme half tatsächlich. Er gewann wieder einen Teil seiner Selbstsicherheit zurück, und als er sich ihr erneut zuwandte, gelang es ihm sogar, der Frau in die Augen zu sehen.

    Beatrice legte den Schleier ab und beobachtete den Arzt, wie er geschäftig, aber scheinbar sinnlos in seiner Tasche herumwühlte. Er wirkte nervös und aufgeregt wie ein junger Student bei seinem ersten Patientenkontakt. Er sah gut aus mit seinen großen, dunklen, mandelförmigen Augen und den dichten schwarzen, kurz geschnittenen Haaren. Nur seine Wangen waren einen Hauch zu rundlich für Beatrices Geschmack. Vielleicht handelte es sich dabei um erste Anzeichen für ein drohendes Gewichtsproblem – oder einfach um Babyspeck. Denn nicht einmal sein dunkler Vollbart vermochte darüber hinwegzutäuschen, dass er für einen Arzt noch ziemlich jung war. Er konnte kaum älter als zwanzig sein. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war ihr das gar nicht aufgefallen.
    Beim Gedanken an ihre letzte Begegnung schämte Beatrice sich ein bisschen. Sie erinnerte sich gut daran, wie sie den Arzt angefahren hatte, weil er bei Mirwat keine Koniotomie durchgeführt hatte. Dabei konnte der arme Kerl gar nichts dafür. Selbst wenn er der beste und angesehenste Arzt seiner Zeit wäre, hatte er wohl kaum die nötigen physiologischen und chirurgischen Kenntnisse für diesen Eingriff. Beatrice war sich nicht einmal sicher, ob zu dieser Zeit überhaupt schon die Anatomie von Kehlkopf und Luftröhre bekannt war. Was mochte wohl in seinem Kopf vorgegangen sein, als er sie an Mirwat herumhantieren gesehen hatte? Hatte er sie für eine Verrückte oder für eine Hexe gehalten? Wahrscheinlich hatte er geglaubt, sie wolle die Lieblingsfrau des Emirs umbringen. Wenigstens meinte das Schicksal es gut mit ihr und hatte sie in ein islamisches Land verschlagen. Soweit sie sich noch an ihren Geschichtsunterricht erinnern konnte, waren die Moslems im Mittelalter geradezu ein Muster an Toleranz anderen Kulturen und Religionen gegenüber, von wenigen extremistischen Ausnahmen einmal abgesehen. Im christlichen Europa hingegen hatte man zur gleichen Zeit damit begonnen, alles, was man nicht verstehen konnte, dem Teufel zuzuschreiben und, nach langer, grausamer Folter, auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.
    Der junge Arzt trat wieder auf sie zu. Wie hieß er gleich? Beatrice konnte sich noch verschwommen daran erinnern, dass er ihr bei ihrer ersten Begegnung seinen Namen genannt hatte. Aber damals hatte sie noch kein Wort Arabisch verstanden. Sollte sie ihn fragen? Sie dachte kurz nach und entschied sich dagegen. Sie wollte ihn nicht noch mehr aus der Fassung bringen. Ihr würde der Name schon früher oder später einfallen. Und wenn nicht, würde Mirwat ihr sicherlich weiterhelfen.
    »Ich beginne jetzt mit der Untersuchung«, sagte der junge Arzt überflüssigerweise. »Mach den Mund auf.«
    Beatrice fragte sich, was er wohl damit bezweckte, da sie weder unter Zahn- noch Halsschmerzen litt und er ganz offensichtlich keinen Rachenspiegel oder eine Lampe zur Verfügung hatte. Unwahrscheinlich, dass er viel sehen konnte. Dennoch öffnete sie gehorsam ihren Mund.
    Der junge Arzt betrachtete so eingehend ihre Zähne, als könne er daraus die Zukunft ablesen, runzelte die Stirn und schüttelte schließlich vielsagend den Kopf. Beatrice vermutete, dass er sich diese Verhaltensmuster angewöhnt hatte, um Patienten über seine Ratlosigkeit hinwegzutäuschen. Eine selbst im 21. Jahrhundert noch beliebte Gewohnheit unter Ärzten. Dann begann er, ihren Schädel abzutasten. Sie spürte, wie seine

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