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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Kindesalter Schwimmbäder und ähnliche Anstalten gemieden. Sie mochte sich einfach nicht vor anderen im Badeanzug zeigen. Und hier war sie sogar splitternackt. Jedes Mal, wenn sie alleine ins Bad ging, hatte sie den Eindruck, dass die anderen Frauen sie voller Verachtung anstarrten, dass ihre Gespräche augenblicklich verstummten und mindestens eine von ihnen hinter vorgehaltener Hand über sie lachte. Wenn hingegen Mirwat sie begleitete, fühlte sie sich sicher, und der Besuch des Bads machte ihr sogar Spaß. Die Freundin war in dieser Hinsicht eine starke Verbündete.
    Natürlich lag es unter anderem an der herausragenden Stellung, die Mirwat wegen ihres Rangs als Lieblingsfrau des Emirs unter den Frauen innehatte, aber das war nicht der einzige Grund. Mirwat hatte ein geradezu unerschütterliches Selbstbewusstsein und eine Grazie, um die Beatrice sie nur beneiden konnte. Die junge Frau hatte nicht nur in den Augen der Orientalinnen eine perfekte Figur. Ihre langen, leicht gewellten Haare waren voll und glänzten wie poliertes Ebenholz. Nicht der kleinste Makel verunstaltete ihre glatte, leicht gebräunte Haut und gab Anlass zu Spott. Wenn sie lachte, strahlten und funkelten ihre dunklen Augen, und wenn sie den Mund öffnete, waren ihre weißen, ebenmäßigen Zähne zu sehen. Selbst für die Maßstäbe des 21. Jahrhunderts wäre Mirwat eine Schönheit gewesen – hier, in einem Zeitalter ohne die Möglichkeiten von Zahnkorrekturen, Fettabsaugung und Silikonimplantaten, war sie eine Göttin. Nicht einmal die hinterhältigsten Weiber wagten es, ihr zu nahe zu treten. Wo sie hinkam, zog sie sofort alle Blicke auf sich.
    Beatrice beschloss, im Vorraum auf Mirwat zu warten. Betont langsam zog sie sich ihre Kleider aus, verbarg den Schmuck sorgfältig zwischen den Falten ihres Gewands und betrachtete dabei eingehend die mit farbenfrohen Mosaiken geschmückten Wände. Sekireh hatte ihr erzählt, dass aus religiösen Gründen die bildliche Darstellung von Pflanzen, Tieren und Menschen nicht gern gesehen wurde. Mittlerweile konnte Beatrice nur noch den Einfallsreichtum der Künstler bewundern, die mit schier unerschöpflicher Fantasie immer neue Muster erfanden. Beatrice hatte im ganzen Palast, der vom Fußboden bis zur Decke mit Mosaiken und Stuckarbeiten verziert war, bisher noch keine zwei Ornamente entdeckt, die einander glichen.
    Die Tür öffnete sich. Mirwat betrat sichtlich gut gelaunt den Raum.
    »Guten Morgen, Beatrice. Warum bist du noch nicht im Bad?«
    »Ich habe mir das Mosaik angesehen«, antwortete sie. »Ist dir schon mal aufgefallen, wie schön es ist?«
    Mirwat, die sofort damit begonnen hatte, sich ihrer Kleider zu entledigen, warf einen kurzen Blick auf die Wand und zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du hier sitzt und die Wand anstarrst, während jenseits dieser Tür heißes Wasser und die geschickten Hände einer Dienerin auf dich warten?« Mirwat schüttelte lachend den Kopf. »Du bist wirklich merkwürdig, Beatrice. Ich kann es kaum erwarten, ins Bad zu kommen.«
    Beatrice horchte auf. Ohne Frage liebte Mirwat das Bad und genoss die Stunden dort in vollen Zügen, aber heute war sie anders, irgendwie freudig erregt, so als würde sie eine Sensation erwarten.
    »Ist etwas los, Mirwat?«, fragte Beatrice.
    Doch Mirwat antwortete nicht, sondern nahm ihre zahlreichen Armreife ab und legte sie auf ihr Kleid.
    »Kommst du jetzt endlich mit, oder willst du noch länger die Wände anstarren?«, neckte sie Beatrice und ging zur Tür, die ins Bad führte.
    »Nein, nein, ich komme schon«, sagte Beatrice und erhob sich. Langsam und nachdenklich folgte sie der Freundin.

    In der runden Halle bot sich das gewohnte Bild. In dem großen, mit heißem Wasser gefüllten Becken badeten bereits etwa ein halbes Dutzend Frauen, verschwommene, unwirkliche Gestalten in den aufsteigenden Dämpfen. Ein paar Frauen kühlten sich in dem kleineren Becken ab, einige saßen am Beckenrand und ließen ihre Beine in dem kühlen Wasser baumeln. Dienerinnen huschten zwischen den Marmorsäulen hin und her und reichten den Frauen saubere Tücher. Alle lachten über die Späße von Jambala, einer sehr jungen dunkelhäutigen Sklavin, die gerade eine Parodie der Eunuchen zum Besten gab. Das Mädchen hatte Talent; sie ahmte nicht nur Gesten und Mimik der Männer hervorragend nach, sondern auch die Stimmen und benutzte sogar ihre bevorzugten Redewendungen. Die Frauen kreischten vor

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