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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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über die Dienerin, als diese plötzlich vor einer mannsgroßen Vase stehen blieb.
    Hannah sah sich hastig um, zog einen rostigen Schlüssel aus ihrem Ärmel und trat dann hinter die Vase. Erst in diesem Augenblick fiel Beatrice die kleine Tür auf, die von der Vase fast vollständig verborgen wurde und durch ein Mosaik aus farbigen Steinen getarnt war. Die Dienerin entfernte einen der kleinen Steine und steckte den Schlüssel in das zum Vorschein tretende Schloss.
    Beatrice rechnete mit einem Quietschen der alten Scharniere und war überrascht, wie lautlos sich die Tür öffnen ließ. Offensichtlich wurde sie häufiger benutzt, als es auf den ersten Blick schien. Rasch gingen sie hindurch. Die Hitze auf der anderen Seite der Tür traf Beatrice wie ein Keulenschlag, und sie blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Es mussten mindestens vierzig Grad sein, die ihr innerhalb von Sekunden den Schweiß auf die Stirn trieben. Von dieser Seite wurde die Tür von dichten Hibiskussträuchern verborgen, aber durch die Zweige hindurch konnte Beatrice den kleinen Teich sehen, an dem sie und Mirwat immer besonders gern saßen und der sich etwa eine halbe Wegstunde entfernt in einem entlegenen Winkel des Gartens befand. Auf welchen verschlungenen Wegen Hannah sie auch hierher geführt haben mochte, es musste eine gewaltige Abkürzung sein. Die Dienerin schloss sorgfältig die Tür hinter ihnen ab und hastete weiter.
    Erst als Beatrice ihr folgte, erkannte sie den schmalen Weg, der sich durch dichtes Gebüsch an der Rückseite von Brunnen und Lauben entlangschlängelte. Oft kamen sie dabei an Stellen vorbei, die Beatrice kannte, weil sie dort jeden Abend spazieren ging. Dennoch war ihr der schmale Pfad bisher noch nie aufgefallen. Schon nach kurzer Zeit endete der Weg abrupt vor einer Mauer. Beatrice sah sich um und stellte fest, dass sie bei einem der entlegenen Brunnen im Garten angelangt waren. Es handelte sich um eine gemauerte, mit Marmor verkleidete treppenähnliche Konstruktion, über die eine Wasserkaskade in ein halbrundes Becken floss. Beatrice wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Obwohl sie lediglich ein leichtes Kleid aus Seide trug, fühlte sie sich darin wie in einem Backofen.
    »Hannah, warum…?«
    »Leise!«, flüsterte die Dienerin und legte beschwörend einen Finger auf die Lippen. »Es könnte uns jemand hören.«
    Beatrice beobachtete, wie Hannah die Steine der Treppe abtastete. Was sollte das werden? Wozu… Doch Beatrice fielen fast vor Staunen die Augen aus dem Kopf, als sich plötzlich auf den Druck von Hannahs Hand ein Teil der Wand vor ihnen bewegte und ein schmaler Spalt zu sehen war. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Spielten ihr die Sinne aufgrund der mörderischen Hitze einen Streich? Oder war sie doch in einem Märchen gelandet, einem Abenteuer aus Tausendundeine Nacht?
    »Kommt mit, Herrin!«, flüsterte Hannah und verschwand in der Dunkelheit.
    Als Beatrice sich durch den schmalen Spalt gezwängt hatte, wunderte sie sich erneut. Hinter der Tür befand sich eine kleine, kaum vier Quadratmeter große fensterlose Kammer. Hannah hatte bereits eine Öllampe angezündet, sodass Beatrice sich umsehen konnte, während die Dienerin einen langen hölzernen Hebel betätigte und sich der Spalt mit lautem Knirschen wieder schloss. Die Luft in der Kammer war abgestanden, aber der Boden war sauber, und anhand der Kratzspuren auf den steinernen Fliesen konnte Beatrice erkennen, dass die Geheimtür oft benutzt wurde.
    »Wo sind wir hier? Und was ist das für eine Kammer?«
    »Dieser Geheimweg ist nur wenigen im Palast bekannt. Er dient allein der Sicherheit des Emirs und seiner Blutsfamilie«, erklärte Hannah bereitwillig. »Wenn unser Gebieter Nuh II. ibn Mansur, der edle Sohn meiner Herrin, in Zeiten der Gefahr den Palast verlassen muss, kann er es auf diesem Wege unbemerkt tun.« Hannah deutete auf eine Nische. »Dort in der Truhe werden ein paar unauffällige Kleider, Geld und Nahrungsmittel aufbewahrt. Innerhalb kurzer Zeit kann Nuh II. ibn Mansur sich in einen unscheinbaren Bewohner Bucharas verwandeln und in den Gassen der Stadt entkommen. Wenn er dereinst, Allah möge gnädig sein, einen Thronfolger hat, wird Nuh II. dieses Wissen mit dessen Mutter teilen, die wiederum das Geheimnis an den Thronfolger weitergibt, sobald er alt genug ist. Auf diese Weise wird die Nachfolge der Familie geschützt.«
    Beatrice nickte anerkennend. »Wie ich sehe, wurde an alles gedacht.«
    Hannah

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