Die Steine der Fatima
Vielleicht hatte Mirwat recht, vielleicht fehlte ihr wirklich das Verständnis für diese Situation. Aber Beatrice hoffte von ganzem Herzen, dass sie in diesem Punkt immer eine Fremde bleiben würde. Sie wollte nicht akzeptieren, dass ein Mann ungestraft eine Frau schlagen durfte. Beatrice legte die Dattel wieder auf die Schale zurück, ihr war der Appetit gründlich vergangen.
In der Zwischenzeit hatte Jambala wieder mit ihren Späßen angefangen. Die Frauen lachten und klatschten begeistert Beifall, als wäre nichts geschehen. Am lautesten aber lachte Mirwat. Beatrice warf einen Seitenblick auf die Freundin, der vor Lachen die Tränen über die Wangen liefen. Diese Frau wollte sie nicht als Feindin haben.
Als Beatrice und Mirwat das Bad wieder verließen, hatte die Sonne bereits ihren höchsten Stand erreicht. Durch die vergitterten Fenster des Harems konnten sie in den Garten sehen. Die Luft flimmerte über den Beeten, sodass Blumen und Bäume ständig ihre Formen zu verändern schienen. Nicht der leiseste Windhauch regte sich. Beatrice war froh, dass sie während der Mittagshitze im Palast bleiben konnte. Verglichen mit dem Brutofen da draußen war es hier drinnen herrlich kühl. Und nach der ausgedehnten Massage mit Minzöl im Bad fühlte sie sich erfrischt.
»Hast du für den heutigen Tag noch besondere Pläne?«, fragte Mirwat.
Beatrice zögerte einen Augenblick. Sie hatte zwar nichts vor, aber ihr lag immer noch die Sache mit Fatma im Magen, und sie wollte während der Mittagsruhe zu Fatma gehen und die arme Frau untersuchen. Vielleicht konnte sie ja doch etwas für sie tun. Aber davon brauchte Mirwat nichts zu wissen.
»Ich bin unheimlich müde und möchte mich gleich hinlegen«, antwortete Beatrice langsam. »Die Kleine hat mich heute ziemlich durchgeknetet. Ich fühle mich, als wäre eine ganze Karawane über mich hinweggetrampelt.«
Ein Lächeln glitt über Mirwats Gesicht. Wenn sie etwas von Beatrices Zurückhaltung oder ihrer Lüge mitbekommen hatte, so ließ sie es sich wenigstens nicht anmerken.
»Schade, wir hätten zusammen einen Mokka trinken können.«
»Ja, wirklich schade«, erwiderte Beatrice. »Lass es uns auf morgen verschieben.«
»Dann also morgen. Schlaf gut, Beatrice.«
Mit gerunzelter Stirn sah Beatrice Mirwat nach, die mit beschwingten Schritten davonging. Ahnte Mirwat etwas? Und wenn schon. Wenn sie zu Fatma gehen wollte, so war es allein ihre Sache.
Beatrice war in ihrem Zimmer gerade dabei, sich umzukleiden, um sich gleich darauf zu Fatma zu begeben, als es leise an der Tür klopfte. Yasmina war nicht da, sodass sie selbst öffnete. Draußen stand Hannah, Sekirehs Dienerin.
»Verzeiht, Herrin, meine Herrin Sekireh schickt mich…«
»Sekireh?« Beatrice drehte sich der Magen um. Ging es der alten Frau etwa schon so schlecht, dass sie nicht mehr selbst zu ihr kommen konnte? Hoffentlich nicht. Sie hatte immer noch keine geeigneten schmerzstillenden Mittel auftreiben können, um in der Lage zu sein, ihr Versprechen, Sekireh das Ende zu erleichtern, zu erfüllen. »Geht es ihr nicht gut?«
Über das vom Leben gezeichnete Gesicht der Dienerin glitt ein beinahe zärtliches Lächeln. Egal, was alle anderen im Palast von Sekireh halten mochten, Hannah war ihr ganz offensichtlich treu ergeben. Sie schien ihre Herrin, diese schwierige, unbequeme Frau, zu lieben.
»Meine Herrin ist zwar schwach, aber sie ist wohlauf – den Umständen entsprechend. Sie hat mir aufgetragen, Euch zu grüßen und Euch zu sagen, dass es soweit ist… Ich soll Euch jetzt zu Samira führen.«
In wenigen kurzen Sätzen erklärte Hannah der überraschten Beatrice, dass Sekireh alles für ihren Besuch bei Samira arrangiert hatte – die Dienerinnen waren alle beschäftigt, die Frauen und die Eunuchen schliefen. Mit welchen Mitteln Sekireh das gelungen war, darüber wollte Hannah nichts erzählen. Aber Beatrice vermutete, dass es sich um etwas handelte, das man in ihrer Zeit als »nicht ganz legal« bezeichnet hätte.
»Kommt, Herrin!«, forderte die Dienerin Beatrice auf. »Wir müssen uns beeilen, uns bleibt nicht viel Zeit.«
Hannah öffnete die Tür und schaute rechts und links den Gang hinunter. Es war niemand zu sehen.
»Leise«, flüsterte sie. »Wir dürfen niemanden wecken.«
Beatrice folgte Hannah durch zahllose menschenleere Flure, treppauf und treppab durch Teile des Palastes, die ihr unbekannt erschienen. Bereits nach kurzer Zeit hatte sie die Orientierung verloren. Sie stolperte fast
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