Die Steine der Fatima
Es war eine ekelhafte Mischung aus allen nur vorstellbaren Ausdünstungen des menschlichen Körpers, verfaulenden Abfällen, schimmelndem Holz und verwesendem Aas.
Wenn ich mir die Pest hole, dann hier, dachte Beatrice und zog schaudernd die Schultern zusammen.
Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht, und Beatrice erkannte, dass sie sich in einem engen Flur befanden.
»Wo ist denn Samira?«, fragte sie Hannah und begann unwillkürlich zu flüstern aus Angst, jedes laute Geräusch könnte die schiefen Mauern zum Einsturz bringen.
»Habt Geduld, Herrin«, flüsterte Hannah zurück. »Schon bald werdet Ihr sie sehen.«
Sie führte Beatrice quer durch das Haus, vorbei an Räumen, aus denen Kindergeschrei und Frauenstimmen drangen. Dabei bewegte sie sich so sicher durch das Halbdunkel, als ginge sie hier täglich ein und aus. Schließlich blieben sie in einem schmalen Flur stehen, der blind vor einem Teppich endete. Hannah klopfte dreimal mit einem Stock, der an der Wand lehnte, auf den Boden. Während sie warteten, betrachtete Beatrice bewundernd den alten verschlissenen Teppich, der die ganze Wand ausfüllte. Trotz seines jämmerlichen Zustands hatten die Farben nichts von ihrer Leuchtkraft eingebüßt. Das Bild auf dem Teppich stellte den Baum des Lebens dar, ein beliebtes Symbol im arabischen Raum. Ungewöhnlich war nur, dass der Künstler entgegen der muslimischen Tradition den Baum detailgetreu abgebildet hatte. Die Vögel in seinen Zweigen sahen so lebensecht aus, dass Beatrice förmlich darauf wartete, ihr Gezwitscher zu hören oder sie davonfliegen zu sehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie das kostbare Stück in dieses verfallene Haus gekommen war. Und weshalb es immer noch hier hing, ohne dass einer der armen Teufel, die hier lebten, es zu Geld gemacht hatte.
Der Teppich bewegte sich, und eine etwa dreißigjährige Frau trat aus dem dahinter verborgenen Raum. Ihre Kleidung war sauber und sah teuer aus, eine seltsame Überraschung zwischen dem Gestank und Verfall um sie herum. Allerdings passten die einzelnen Kleidungsstücke weder in der Farbe noch in Stoff oder Schnitt zueinander, so als hätte die Frau sie irgendwo gefunden. Zahlreiche goldene Armreife schmückten ihre Hand- und Fußgelenke und gaben ihr trotz ihrer Korpulenz die Ausstrahlung einer Tänzerin. Oder war sie etwa eine Zigeunerin? Mit mürrischem Gesicht taxierte sie Hannah und Beatrice von Kopf bis Fuß.
»Was wollt ihr?«, fragte sie und gab sich dabei keine große Mühe, freundlich zu sein.
»Wir wollen Samira sprechen«, antwortete Hannah überraschend forsch.
Belustigt bemerkte Beatrice, dass die Dienerin bewusst oder unbewusst Sekirehs Ton nachahmte, wenn sie anderen Befehle erteilte. Aber die Frau vor ihnen ließ sich nicht so leicht einschüchtern.
»Samira will aber nicht mit euch sprechen«, entgegnete sie barsch. »Und nun packt euch!«
»Samira erwartet uns«, widersprach Hannah rasch. »Außerdem werden wir Samiras Dienste selbstverständlich entlohnen – und deine natürlich auch.«
Die Frau runzelte die Stirn und blickte noch finsterer drein als zuvor. »Und womit?«
Mit dem siegessicheren Lächeln eines Kartenspielers, der seinen besten Trumpf auf den Tisch legte, zog Hannah einen kleinen ledernen Beutel unter ihrem Gewand hervor.
»Sieh selbst!«
Geschickt fing die Frau den Beutel auf, öffnete ihn und ließ den Inhalt auf ihre Hand gleiten. Trotz des trüben Lichts glänzten die goldenen Münzen auf ihrer Handfläche. Sie stieß ein zufriedenes Grunzen aus.
»Ich werde sehen, was ich für euch tun kann. Wartet hier.«
Die Frau verschwand wieder hinter dem Teppich.
»Wer ist diese Frau, Hannah?«, fragte Beatrice. »Wieso können wir nicht einfach zu Samira gehen, wenn wir mit ihr sprechen wollen? Muss Sekireh auch jedes Mal warten, bis sie vorgelassen wird? Und weshalb…«
»Seid bitte leise, Herrin«, wisperte Hannah ängstlich. »Die beiden können uns bestimmt hören.«
»Und wenn schon, was soll uns diese Samira anhaben können?«
»Samira hat große Macht, Herrin. Man munkelt, dass sogar der edle Nuh II. ihren Rat sucht. Natürlich kommt er nicht selbst, sondern schickt eine Frau…« Hannah machte eine Pause. »Es ist nicht gut, wenn man Samira verärgert.«
Seufzend fügte sich Beatrice. Was blieb ihr auch anderes übrig? Also standen sie schweigend nebeneinander in dem schmalen düsteren Flur. Sie mussten lange warten, und Beatrice hatte ausreichend Gelegenheit, den Schmutz und
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