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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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zuckte mit den Schultern. »Wo Macht ist, gibt es auch Intrigen, Herrin. Der edle Sohn meiner Herrin muss ständig damit rechnen, dass man versucht, ihn und seine Familie zu stürzen und die Macht an sich zu reißen«, sagte die Dienerin, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit. Sie reichte Beatrice ein Bündel, das sie unter ihrem Kleid versteckt hatte. »Ich habe ein paar Kleider mitgebracht. Zieht Euch um, Herrin.«
    Beatrice packte das Bündel aus. Es waren schäbige, mehrfach geflickte Kleider, die aussahen, als hätten sich bereits die Motten darüber hergemacht. Sie erinnerten sie an die, welche die Frauen im Kerker getragen hatten. Sie hob die Lumpen mit den Fingerspitzen hoch und betrachtete sie angeekelt.
    »Bist du sicher, dass die nicht völlig verlaust sind oder dass ich mir die Lepra hole?«
    »Seid unbesorgt, Herrin«, antwortete Hannah. »Die Kleider sehen zwar ärmlich aus, aber sie sind sauber. Auch meine Herrin trägt diese Kleider, wenn sie Samira aufsuchen will. So angezogen wird niemand uns in den Gassen Bucharas erkennen.« Widerwillig schlüpfte Beatrice in die zerlumpten Kleider. Als sie endlich beide fertig waren, drückte Hannah ihr einen flachen Weidenkorb in die Hand und nahm selbst einen. Dann betätigte sie einen zweiten Hebel. Ein neuer Spalt tauchte in der Wand auf, und Tageslicht fiel in die kleine Kammer.
    »Geht hinaus, Herrin«, sagte Hannah zu Beatrice und löschte die Lampe. Beatrice machte einen Schritt nach draußen und befand sich inmitten einer Baumgruppe. Die Sonne stand so hoch am Himmel, dass die großen Bäume nur spärliche Schatten warfen. In Beatrices Rücken erhob sich die Palastmauer, vor ihr lag ein kleiner, mit ausgetretenen staubigen Steinen gepflasterter Platz. In der Mitte des Platzes war eine zum Schutz gegen die Hitze mit Brettern abgedeckte Zisterne, und schäbige Häuser mit geschlossenen schiefen Fensterläden standen um den Brunnen herum. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, nur eine graue Katze schlich träge über den Platz und verschwand schließlich in einem Spalt unter einer Tür.
    »Wo sind wir, Hannah?«, fragte Beatrice die Dienerin, die gerade die Geheimtür wieder schloss.
    »Mitten in Buchara«, antwortete sie und zog ihren schmutzigen Schleier fester über das Gesicht. »Nehmt Euren Korb, Herrin. Jeder, der uns sieht, wird glauben, wir seien zwei arme Weiber, die Brot auf dem Markt verkauft haben und nun auf dem Weg nach Hause sind.«
    Zügig überquerten sie den Platz und gingen eine der schmalen Gassen entlang. Zwischen den Häusern war es ein wenig kühler, und dennoch lief Beatrice der Schweiß über den Rücken. Schon nach ein paar Schritten klebte ihr das Untergewand am Körper, und sie war heilfroh, dass sie nicht ihre eigenen Schleier trug, sondern diese Lumpen aus leichter, billiger Baumwolle. In den lichtundurchlässigen dicken Stoffen, welche die Haremsfrauen anhatten, wenn sie in der Öffentlichkeit unterwegs waren, wäre sie bei dieser mörderischen Hitze vermutlich langsam erstickt. Dennoch genoss sie diesen »Spaziergang« in vollen Zügen und saugte die Eindrücke in sich auf.
    Wegen der Mittagshitze begegneten ihnen nur wenig Menschen. In den Hauseingängen saßen zuweilen ältere Männer, die sich unterhielten und dabei Kürbiskerne kauten. Hin und wieder kamen ihnen Männer und Frauen mit Körben entgegen, in denen sich Wäsche, Brot, Früchte oder Brennholz befanden. Zwei kleine Jungen trieben ein paar magere, staubige Ziegen vor sich her – Alltagsleben in einer mittelalterlichen, arabischen Stadt.
    Beatrice konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal den Palast verlassen hatte. Einmal hatte sie mit Mirwat und fünf anderen Frauen in Begleitung von fünf Eunuchen einen kurzen Bummel durch die Gassen von Buchara machen dürfen. Aber damals waren sie tief verschleiert gewesen, und der Emir hatte zuvor die beiden Straßen, auf denen die Frauen unterwegs waren, von den Palastwachen absperren lassen. Mit Ausnahme der Händler, die ihnen überaus zuvorkommend ihre Waren angeboten hatten, hatten sie keine Menschenseele getroffen. Es war alles gestellt und unwirklich gewesen. Beatrice nahm an, dass auch die Händler nur Statisten in dieser Inszenierung waren. Vermutlich waren die Männer in Wirklichkeit ebenfalls Eunuchen oder Angehörige von Nuhs Leibgarde. Dies hier hingegen war das wahre Leben. Hannah und Beatrice waren gekleidet wie die Menschen, die hier lebten, und sie gingen durch die schmalen

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