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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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ich werde dann sofort…«
    »Ich weiß. Danke!«
    Beatrice sah der Dienerin lächelnd nach. Vermutlich würde Hannah viel zu viel Angst haben, um ihr zu Hilfe zu eilen, selbst wenn sie wie am Spieß schreien sollte.
    Als sie sich Samira wieder zuwandte, war der rätselhafte Zauber verflogen, der bisher über allem gelegen hatte. Sie fühlte sich zwar benommen, als würde sie aus einer Narkose oder einem Tiefschlaf erwachen, aber sie nahm die Dinge so wahr, wie sie wirklich waren. Sie sah wieder die alten, baufälligen Mauern, in denen es vor Ratten nur so wimmelte, der Boden starrte vor Dreck, und Samira war nichts weiter als eine dicke alte Frau mit einem Mund voller schiefer brauner Zähne. Die Situation war grotesk. Warum sollte sie sich ausgerechnet dieser fetten, unförmigen Samira anvertrauen?
    »Weil Samira von Dingen weiß, die sonst niemand in Buchara kennt.«
    Erschrocken starrte Beatrice die alte Frau an. Wieso hatte sie ihr geantwortet? Hatte sie etwa laut gedacht?
    »Glaub, woran du glauben willst, Beatrice«, fuhr Samira ungerührt fort. »Vielleicht hilft es dir, mir zu vertrauen.«
    Beatrice dachte kurz nach. Warum eigentlich nicht? Warum sollte sie nicht Samira alles anvertrauen? Es wäre sicherlich eine Erleichterung, endlich jemandem alles zu erzählen, diese ganze verrückte Geschichte. Was hatte sie schon zu verlieren?
    »Du hast nichts zu verlieren, Beatrice«, sagte Samira mit der sanften Stimme einer Mutter, die ein verängstigtes Kind tröstet. »Aber erzähle mir jetzt, weshalb du hier bist. Ich kann nicht alles erraten.«
    »Das ist es ja eben!«, platzte Beatrice verblüfft heraus. Die Alte hatte schon wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. Wahrscheinlich war es nichts weiter als ein Trick, aber er funktionierte. Gegen ihren Willen war Beatrice beeindruckt. »Ich weiß eben nicht, weshalb ich hier bin.«
    Und stockend erzählte sie Samira alles von Anfang an. Von der alten Frau Alizadeh, von ihrem seltsamen Erlebnis in der Schleuse, ihrem Erwachen im Kerker des Sklavenhändlers bis hin zu dem Zeitpunkt, als sie durch die Landkarte herausgefunden hatte, dass sie sich in einem anderen Zeitalter befand.
    Schweigend und mit halb geschlossenen Augen hörte Samira zu. Dennoch wurde Beatrice das Gefühl nicht los, dass die Alte sie beobachtete, sie taxierte, sie mit ihren dunklen Augen durchbohrte und bis auf den Grund ihrer Seele vordrang. Beatrice wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser. Es wäre ihr lieber gewesen, Samira hätte ihr offen in die Augen gesehen. Sie fühlte sich wie in ihrer Prüfung zum dritten Staatsexamen. Als sie schließlich ihren Bericht beendet hatte, war sie außer Atem. Unruhig knetete sie ihre schweißnassen Hände, wobei sich ihr Nacken noch mehr verspannte.
    Samira schwieg eine Weile. »Zeige mir den Stein«, sagte sie schließlich.
    Gehorsam holte Beatrice den Stein aus einer geheimen Tasche hervor und legte ihn in Samiras große fleischige Hand. Die Alte schloss ihre Hand um den Stein, befühlte ihn, betrachtete ihn eingehend und hob ihn schließlich gegen das Licht einer Kerze.
    »Es ist gut, dass du zu mir gekommen bist«, sagte sie und nickte langsam. »Es gibt nicht viele Menschen hier in Buchara, die von diesem Stein wissen. Vielleicht bin ich sogar die Einzige…«
    »Dann hat es tatsächlich etwas mit diesem Stein zu tun?«, fragte Beatrice und vergaß für einen Augenblick sogar ihre Skepsis. »Ich dachte schon, dass ich mir das nur einbilde. Was ist das für ein Stein? Woher kommt er? Wie hat er mich hierher gebracht? Und kann er mich auch wieder zurückbringen? Was muss ich tun, um…«
    »Geduld, Geduld!«, unterbrach Samira Beatrice mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Eins nach dem anderen. Zuerst muss ich den Stein prüfen. Dann kann ich vielleicht deine Fragen beantworten.«
    Samira zündete ein paar Kohlestückchen in einer Messingschale an, riss einige Blätter von einem Kräuterbündel ab, das von der Decke herabhing, zerbröselte sie in der Hand und warf sie auf die Glut. Die trockenen Kräuter fingen sofort an zu brennen, und Samira blies die Flamme aus. Dichter graublauer Rauch stieg aus der Schale auf und erfüllte den Raum mit einem schweren, etwas süßlichen Duft.
    »Was für Kräuter sind das?«, fragte Beatrice interessiert und sog prüfend die Luft ein. Irgendwie kam ihr der Geruch bekannt vor. Vor einiger Zeit hatte sie einen Patienten in dessen Zimmer beim Kiffen erwischt. Dieser Geruch hier hatte eine entfernte Ähnlichkeit damit.

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