Die Steine der Fatima
sie nicht auf der Stelle zu Tode prügelte.
Was nun geschah, ging so rasch, dass Beatrice die Vorgänge erst später rekonstruieren konnte. Mit einem Gebrüll, das Beatrice fast die Trommelfelle zerriss, sprang Nuh II. aus dem Bett. Der Emir bewegte sich so schnell, wie sie es ihm aufgrund seiner Fettleibigkeit niemals zugetraut hätte. Unfähig, sich von der Stelle zu rühren oder auch nur zu schreien, starrte sie ihm und ihrem sicheren Tod entgegen. Doch im letzten Augenblick, bevor Nuh II. sie erreichte und zu Boden schleudern konnte, flog die Tür auf. Zwei starke Arme packten Beatrice von hinten, zogen sie in Sekundenschnelle aus dem Zimmer und warfen die Tür hinter ihr zu. Sie hörte das Poltern, als Nuh II. gegen die geschlossene Tür rannte. Er schrie vor Zorn und stieß rohe Verwünschungen aus.
»Verschwinde, wenn dir dein Leben lieb ist!«, zischte Jussuf dem alten Diener zu und legte den Riegel vor die Tür.
Verwundert sah Beatrice dem alten Mann nach, der sich in erstaunlichem Tempo davonmachte, ohne weitere Fragen zu stellen.
»Komm schon, zurück zum Harem!« Jussuf packte Beatrice und schleifte sie am Arm mit sich. Wie in Trance lief sie hinter dem Eunuchen her. Erst als sie vor ihrer eigenen Zimmertür stand, kam sie wieder richtig zu Bewusstsein.
»Ich danke dir für deine Hilfe«, sagte sie atemlos, als ihr klar wurde, was der Eunuch für sie getan hatte.
»Danke mir nicht zu früh«, entgegnete Jussuf düster. »Nuhs Zorn wird nicht so schnell verrauchen, wie du vielleicht glaubst. Geh jetzt in dein Gemach. Ich werde dich einschließen. Das ist sicherer. Wenn Nuh II. in Zorn gerät, ist er unberechenbar.«
»Wie lange wirst du mich einsperren?«
»Bis er wieder zur Vernunft gekommen ist.« Jussuf schob Beatrice in das Zimmer. Gleich darauf hörte sie, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht und der Riegel vorgeschoben wurde. Sie wusste zwar, dass nur Jussuf Schlüssel für die Gemächer der Frauen des Emirs besaß, nicht einmal die anderen Eunuchen hatten dieses Privileg, dennoch verriegelte sie die Tür zusätzlich von innen. Einem Ansturm der Soldaten der Palastwache würde der kleine, dünne Metallbolzen zwar kaum standhalten, aber sie fühlte sich trotzdem sicherer.
Kopfschüttelnd stand Ahmad al-Yarkuhn neben Nuh II. Der Emir lag von vielen Kissen gestützt auf einer schmalen Liege und stöhnte wie ein Schwerverletzter. Ahmad fragte sich, ob er wirklich so große Schmerzen hatte. Gut, seine Nase sah ziemlich übel aus, und noch immer war das Hemd des Emirs blutbefleckt. Doch hatte Nuh II. seinen Gegnern schon oft wesentlich schlimmere Verletzungen zufügen lassen, und bei Folter und Hinrichtungen sah er zu, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. In Bezug auf seinen eigenen Körper war der harte und unerbittliche Herrscher von Buchara offenbar ziemlich wehleidig.
Schweigend beobachtete Ahmad den Arzt bei seiner Arbeit.
Was wohl Ali al-Hussein über seinen Patienten dachte? Seine Miene war ruhig und unverbindlich freundlich, während er mit geschickten Händen verkrustetes Blut von der Nase des Emirs wusch. Nur manchmal glaubte Ahmad ein spöttisches, verächtliches Funkeln in den Augen des jungen Mannes zu entdecken. Aber vielleicht täuschte er sich auch. Er mochte Ali al-Hussein nicht. Er hielt den Arzt für einen hochmütigen, in sich selbst verliebten Schönling. Vielleicht traf zu, was einige Leute am Hofe des Emirs sagten, vielleicht war es ihm zu Kopf gestiegen, bereits in so jugendlichem Alter zum Leibarzt des Emirs ernannt worden zu sein. Aber insgeheim vermutete Ahmad, dass Ali al-Hussein von Geburt an arrogant und eingebildet war. Und dennoch, trotz seiner persönlichen Abneigung musste Ahmad eingestehen, dass Ali von seiner Kunst etwas verstand und wahrscheinlich der beste und geschickteste Arzt weit und breit war. Die Nase, noch vor wenigen Stunden kaum mehr als ein geschwollener, blutiger, unförmiger Klumpen im Gesicht des Emirs, ließ bereits ihre ursprünglichen Konturen wieder erahnen.
»Wann seid Ihr denn endlich fertig, Ali al-Hussein?«, fragte Nuh II. gereizt und wippte ungeduldig mit dem Fuß.
»Die Verletzung ist so schwer, dass sie besonderer Sorgfalt bedarf, Herr«, entgegnete der Arzt ruhig und tastete die Nase ab, sodass Nuh II. aufschrie.
Die seltsam klingende Stimme des Emirs reizte Ahmad zum Lachen, doch er biss sich auf die Lippen. Nuh II. hatte gebrüllt und getobt wie ein wilder Stier, nachdem die Sklavin aus seinem Zimmer geflohen war. Einen
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