Die Steine der Fatima
damit, wie gewissenhaft du deine Pflicht erfüllst. Nicht einmal im Traum würde mir einfallen, dich aus meinem Dienst zu entlassen.« Das Mädchen hob den Kopf. »Wirklich, Herrin? Ist das wirklich Eure Meinung?« Der ängstliche Blick von Yasminas rot geweinten Augen schnitt Beatrice ins Herz. Dieses kleine, kaum zwölfjährige Mädchen hatte Angst, echte, nackte Existenzangst. Beatrice wusste auch, wovor Yasmina sich fürchtete. Sie hatte ja inzwischen das Elend dort draußen gesehen. Hier im Schutze des Palastes hatte Yasmina immer ausreichend zu essen und ein Dach über dem Kopf. In den Gassen von Buchara hatte so ein schmächtiges Mädchen hingegen keine Chance. Um zu überleben, würde sie betteln oder stehlen müssen – und wahrscheinlich trotzdem verhungern.
»Natürlich, Yasmina, sonst würde ich das nicht zu dir sagen.« Tröstend strich Beatrice dem Mädchen über das lange schwarze Haar und lächelte es aufmunternd an. »So, und nun wollen wir uns beeilen. Der Emir wird schon bald mit seinem Mittagsmahl beginnen, und wir wollen ihn doch nicht warten lassen und Ärger riskieren, nicht wahr?«
Über Yasminas schmales Gesicht glitt ein strahlendes Lächeln. Sie nickte eifrig und wischte sich die Tränen von den Wangen.
Während Yasmina ihr beim Waschen und Ankleiden behilflich war und ihre Haare zu einer kunstvollen Frisur flocht, verfluchte Beatrice Nuh II. ibn Mansur. Sie war dem Emir bisher nur selten begegnet. Meistens sah sie ihn bloß von Weitem durch die vergitterten Fenster, durch die man in die Eingangshalle hinabschauen konnte. Ein überaus vernünftiger Abstand, wie sie fand. Mit einem Mann, der es wagte, eine Frau zu schlagen, und der in einem kleinen Mädchen Todesangst auslöste, wollte sie nichts zu tun haben.
»Ich habe zwar überhaupt keine Lust, aber es muss wohl sein«, sagte sie zu sich selbst, als Yasmina ihr zur Kontrolle noch einmal den Handspiegel reichte. »Bringen wir es schnell hinter uns.«
Sie waren gerade fertig, als es klopfte. Jussuf stand vor der Tür, um Beatrice abzuholen und sie zu Nuhs Gemächern zu begleiten. Während sie schweigend neben dem dunkelhäutigen Eunuchen durch die Gänge des Palastes ging, fiel Beatrice plötzlich ein, dass sie gar nicht wusste, weshalb Nuh II. sie sehen wollte. Sie war so wütend auf den Emir gewesen, dass es ihr gar nicht in den Sinn gekommen war, darüber nachzudenken. Nun wünschte sie, sie hätte die Gelegenheit ergriffen und Yasmina ausgehorcht. Vielleicht wusste Jussuf etwas, aber ihn zu fragen wäre sinnlos gewesen. Der Eunuch sagte nie auch nur ein überflüssiges Wort, und über seine Befehle sprach er schon gar nicht. So versuchte Beatrice in seinem Gesicht zu lesen. Doch Jussufs Miene war unbeweglich und grimmig wie immer. Also war sie in ihren Vermutungen ganz auf sich allein gestellt.
Unglücklicherweise hatte sie eine lebhafte Fantasie, und mit jedem Schritt, den sie sich den privaten Gemächern des Emirs näherten, wurde sie nervöser. Als sie schließlich vor einer mit ornamentalen Schnitzereien reich verzierten Tür stehen blieben, klopfte ihr Herz wie ein Dampfhammer. Anscheinend wurden sie bereits erwartet, denn die Tür öffnete sich, noch bevor Jussuf anklopfen konnte. Ein alter, in ein schlichtes weißes Gewand gekleideter Diener empfing sie.
»Mein Herr, der edle und weise Nuh II. ibn Mansur, Allah möge ihn segnen und ihm ein langes Leben schenken, erwartet euch bereits. Kommt.«
Beatrice und Jussuf folgten dem vom Alter gebeugten Mann durch eine hohe, geräumige Halle. Der Alte schlurfte so langsam und schwerfällig vor ihnen her, dass Beatrice Gelegenheit hatte, die Pracht zu bewundern. Zahlreiche kostbare Teppiche hingen an den Wänden und lagen auf dem Boden; einige von ihnen waren so groß wie eine moderne Dreizimmerwohnung, andere erreichten kaum die Maße eines Aktenkoffers. Riesige, mit bunten Steinen geschmückte Öllampen aus Messing hingen an schweren Ketten von der Decke herab, welche mit den schönsten Stuckarbeiten verziert war, die Beatrice bisher gesehen hatte. Weihrauch wurde in hohen dreibeinigen Räucherbecken verbrannt. Sein würziger Geruch vermischte sich mit dem Duft der aus edlen Hölzern gefertigten niedrigen Tische und Truhen, die überall in der Halle verteilt waren. Nuh II. ibn Mansur schien das Schachspiel sehr zu lieben, denn in der ganzen Halle lagen und standen Schachbretter unterschiedlicher Größe und reich verzierte Kästen zum Aufbewahren der Figuren. Beatrice zählte
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