Die Steine der Fatima
Es…« – »Was? Hat Allah Euch den Verstand geraubt? Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen, Ali al-Hussein? Ich werde niemals so lange diese Binden…«
»Es kommt ganz auf Euch und Eure Geduld an, Herr«, entgegnete der Arzt ruhig. »Wenn Ihr Euch meinen Anweisungen fügt, werde ich den Verband in zehn Tagen entfernen können. Anderenfalls dauert es länger.«
Nuh II. starrte den Arzt wütend an. Ahmad konnte nicht umhin, den jungen Ali zu bewundern, der ruhig und gelassen dem vernichtenden Blick des Herrschers standhielt. Es war ein stummes Kräftemessen, bis Nuh II. endlich nachgab.
»Nun denn, so sei es.« Er seufzte, warf nochmals einen Blick in den Spiegel und schüttelte resigniert den Kopf. »Ahmad, kümmere dich darum, dass alle Regierungsgeschäfte in den kommenden zehn Tagen abgesagt werden. So kann ich unmöglich vor das Volk treten.«
»Sehr wohl, Herr. Und was soll ich dem Volk sagen?«
Nuh II. dachte einen Augenblick nach. »Dass ein noch nicht abgerichteter Falke mich angegriffen und im Gesicht verletzt habe.«
Ahmad verbeugte sich.
»Wie Ihr es wünscht, Herr.«
»Herr, ich darf mich verabschieden? Solltet Ihr mich brauchen, ruft nach mir. Morgen komme ich zur gleichen Zeit wieder und sehe nach Euch.«
Der junge Arzt verbeugte sich vor Nuh II. nickte Ahmad kurz zu und ging, ohne die Erlaubnis des Emirs abzuwarten.
»Er ist ein fähiger Arzt«, meinte Nuh II. grimmig. »Aber eines Tages wird er seinen Hochmut bereuen.«
»Sicher, Herr, es ist, wie Ihr sagt«, entgegnete Ahmad und stieß einen Seufzer aus. Irgendwie beneidete er Ali al-Hussein. »Aber wir haben gerade über die Sklavin geredet. Ihr wollt sie wirklich wieder zu Euch holen?«
»Bist du auf deine alten Tage taub geworden? Das sagte ich doch eben.«
»Herr, verzeiht mir, aber das kann ich nicht gutheißen«, erklärte Ahmad vorsichtig. »Tut das nicht. Bedenkt noch einmal Eure Entscheidung. Dieses Weib ist nicht wie unsere Frauen. Sie ist gefährlich. Sie hat Euch bereits einmal verletzt. Was wird sie Euch das nächste Mal antun? Ihr solltet…«
»Ich kann mir schon vorstellen«, unterbrach Nuh II. ihn erneut, »welchen Rat du mir geben willst, Ahmad. Diese Frau zu verbannen mag für Männer wie dich die beste Lösung sein. Du bist nicht verheiratet und kennst dich nicht mit Frauen aus.« Nuh II. bedachte Ahmad mit einem verächtlichen, mitleidigen Lächeln. »Ich hingegen habe mehr als zwanzig Frauen in meinem Harem. Und jede von ihnen ist im Laufe der Zeit gehorsam und gefügig geworden. Glaube mir, auch mit dieser Sklavin aus dem Norden wird es nicht anders sein.«
Ahmad spürte, wie der Zorn in ihm aufwallte. Nuh II. hatte wieder einmal an einer alten Wunde gerührt. Diese Wunde hatte der Emir eigenhändig geschlagen, als er die einzige Frau, die Ahmad jemals geliebt hatte, zu sich in den Harem genommen hatte. Es war mittlerweile fast zwanzig Jahre her, aber die Wunde war nicht verheilt – sie schmerzte immer noch genau wie damals. Doch Ahmad sagte nichts. Am Tag der Hochzeit hatte er sein ganzes Leben in den Dienst Allahs und des Emirs von Buchara gestellt. Er hatte kein Recht, Nuh II. in seine Schranken zu weisen. Also schluckte er seine Wut hinunter.
»Herr, verzeiht, dass ich Euch widerspreche. Diese Frau ist nicht wie die anderen. Sie ist größer, kräftiger, und wer weiß, über welche seltsamen Fähigkeiten sie verfügt. Sie wird sich nicht so leicht von Euch zähmen lassen. Diese Frau wird Euch wieder angreifen. Fragt Ali al-Hussein, er hat die Frau untersucht. Er kann noch nicht weit sein, er wird Euch meine Worte bestätigen.«
»Ich werde diesem selbstgefälligen Arzt hinterherlaufen und mich endgültig zum Gespött von Buchara machen? Darauf kannst du lange warten!«, erwiderte Nuh II. und stieß ein zorniges Lachen hervor. »Nein. Einmal ist es diesem Weib gelungen, mich zu verletzen. Aber nur, weil sie mich mit ihrer heftigen Gegenwehr überrascht hat. Ich versichere dir, das nächste Mal wird ihr das nicht gelingen. Ich bin darauf vorbereitet.«
Ahmad wünschte, er könnte Nuhs Worte mit dem gleichen Achselzucken hinnehmen wie Ali al-Hussein, aber es gelang ihm nicht. Trotz der Demütigungen, die er immer wieder durch diesen Tyrannen zu ertragen hatte, brachte er es nicht fertig, ihn ins offene Messer laufen zu lassen.
Er fühlte sich diesem Mann verpflichtet, selbst wenn es ihm manchmal schwer fiel.
»Herr, ich…«
»Ahmad, ich will nicht mehr darüber reden«, unterbrach ihn Nuh II.
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