Die Steinernen Drachen (German Edition)
Odeur der Angst , dachte er.
Auch sein Magen rebellierte, aber da er seit dem Frühstück nichts gegessen hatte, war dieser längst leer. Blitze durchzuckten in Sekundenabständen die kompakten Gewitterwolken und tauchten dabei das Innere der Maschine in ein gespenstisches Licht. So, als säße man in einer überdimensionalen Röntgenkammer. Er starrte in die unwirtliche Nacht hinaus. Unter ihnen erstreckte sich, unsichtbar und von dunklen Wolkentürmen verdeckt, der ärmliche Nordosten Thailands: dort, wo das Leben karg, die Sommer am heißesten und die Winter am kältesten sind, dort, wo der Mekong seine erkennbare Grenze zog. Auf der anderen Seite lag Laos und sein Ziel: Lea.
Ilkas letzter Bericht über Lea, raubte ihm zunächst alle ihm zur Verfügung stehenden Worte. Seitdem sie ihm sachlich mitgeteilt hatte, dass Lea schwanger war und im Juni ein Kind geboren hatte, war er in Schweigen verfallen. Immer wieder zählte er die Monate und rechnete rauf und runter. Das Kind konnte von ihm sein. Oder von Kreutzmann? Nein, er war sicher, dass es sein Kind war. Diese Erkenntnis rückte alles Bisherige in ein neues Licht. Anfangs ging es nur darum, Lea zu finden. Plötzlich war er gezwungen, seine Unschuld zu beweisen. Und jetzt war da ein Kind, für das er sich verantwortlich fühlte. Fragen drängten sich ihm auf: Wo ist das Baby? Ist es ein Mädchen oder ein Junge? Wie geht es ihm, ist es gesund? Letzteres stellte er schweren Herzens in Zweifel. Lea war auf der Flucht mit einem einmonatigen Baby. Wie sollte es dem Kind da gut gehen?
Was wäre vor einem knappen Jahr geschehen, hätte die CIA Lea nicht in die USA verschleppt? Hätte er dann eine Familie? Diesen Gedanken weiterzuverfolgen, überforderte ihn in der jetzigen Situation. Wenn er sich weiter mit Hypothesen beschäftigte, würde er komplett durchdrehen und das konnte er nicht zulassen. Er musste Lea finden. Lea und ihr Kind – sein Kind!
Frank sah zu der CIA-Agentin hinüber, die in der anderen Reihe, einen Platz versetzt, hinter ihm saß. In einer übertrieben aufrechten Haltung starrte sie konzentriert geradeaus. Ilka war blass um die Nase und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie bemerkte nicht, wie er sie musterte. Die wilden Turbolenzen schienen ihr ebenso Probleme zu bereiten. Nun hatte er alles erfahren, was er wissen musste und überlegte, ob er auf die Agentin verzichten könnte. Noch vor zwei Stunden glaubte er, ohne ihre Unterstützung nicht zu überleben. So schnell ändert man seine Ansichten! Jetzt, wo er die Wahrheit kannte, wurde der Plan sich abzusetzen, immer offensichtlicher. Der CIA noch länger behilflich zu sein, war ihm mit einem Mal zuwider. Klar, sie konnten seine Unschuld bestätigen, aber würden sie das tun? Wollte er noch länger deren Spielball sein und darauf hoffen, dass man mit den deutschen Behörden reinen Tisch machte? Ilka mochte ihm dieses Versprechen geben, was noch lange nicht hieß, dass sich ihre Vorgesetzten daran halten würden. Würde der amerikanischen Geheimdienst einen ihrer Agenten für den Mord an Ao Zhong verantwortlich zu machen? Aus diplomatischer Sicht war es für die USA viel einfacher, ihn als Sündenbock dastehen zu lassen, selbst dann, wenn diese Krise überstanden war. Er entschied, dass er lieber auf sich allein gestellt war, als ständig von falschen Freunden umgeben zu sein. Die CIA konnte für ihn nur noch für eins nützlich sein: um ihn über die Grenze nach Laos zu bringen.
Der Flug dauerte knapp neunzig Minuten, für die meisten Passagiere jedoch eine Ewigkeit. Als die Maschine schließlich auf dem Rollfeld in Udon Thani aufsetzte, war die Erleichterung physisch spürbar. Die Stewardess hatte ihre Zuversicht wieder gefunden und sammelte freundlich lächelnd die übervollen Kotztüten ein. Vor dem Flughafen wartete ein Pajero Geländewagen auf Ilka und ihn. Am Steuer saß ein maulfauler Asiat, der sie in die dunkle Nacht hinausfuhr. Der Regen hatte aufgehört, dafür erreichte die Luftfeuchtigkeit ein unerträgliches Maß. Die Straße war schmal, holprig und ohne jede Begrenzungsmarkierung. Frank fragte, wo die Fahrt hingehen sollte, bekam aber keine Antwort. Der Sturm über den Wolken hatte Ilka die Sprache gekostet.
Sie durchquerten versprengte Dörfer. Das Licht der Scheinwerfer fiel auf bunt gestrichene Holz- und Bambushütten, die sich wie Spielzeughäuschen aneinanderreihten. Üppige Vegetation quoll aus den Vorgärten. In manchen Häusern brannten nackte Glühbirnen, die ihr
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