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Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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sich, um zu sehen, was vierzig Meter weiter vor ihm, auf der Brücke geschah. Einer der Grenzer studierte die Papiere, die ihm der Fahrer des Geländewagens gereicht hatte. Eine deutsche Touristin und ihr Reiseführer. Nehmen sie dir das ab, Ilka?
    Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entwich ihm, als er mitansehen durfte, wie die Einreisegenehmigung zurückgegeben und der Pajero durchgewunken wurde. Doch sofort kehrte die Anspannung zurück. Das war zu leicht gewesen. Nguyen hatte die Beamten auf den Wagen aufmerksam gemacht und durfte feststellen, dass Frank nicht darin war. Was würde der Sumomann daraus folgern?
    Nguyen stand immer noch auf der Fahrbahn und sein schwarzer Anzug absorbierte das Sonnenlicht. Frank stellte sich vor, was im Kopf des Asiaten vorging, welche Konsequenz der Laote daraus zog, dass er nicht im Wagen gesessen hatte. Einen Wimpernschlag später
    drehte Nguyen sich zu den strömenden Fußgängern um. Schnell ging er hinter einem Ochsenfuhrwerk in Deckung. Der Sumomann weiß, wo ich bin! Er fühlte die Panik, die träge, jedoch unaufhaltsam seine Speiseröhre hochkroch. Die Bananen und das Schweinefleisch drängten nach oben. Ein Karren mit Hühnerkäfigen beladen, fuhr ihm in die Hacken, er stolperte gegen das Brückengeländer und verlor seine Tasche. Eine Hand griff nach ihm und zerrte ihn hinter den Aufbau, ohne dass er in der Lage war, sich zu wehren. Einer der Käfige wurde zur Seite geschoben und damit ein Hohlraum geschaffen, der groß genug für einen Menschen war – wohl bemerkt, für einen kleinen Menschen.
    Unsanft wurde Frank hineingeschubst. Ehe er irgendetwas sagen konnte, war es dunkel und nur noch das aufgeregte Gackern zahlloser Hühner zu hören. Er registrierte, wie sich das Gefährt wieder in Bewegung setzte. Es stank erbärmlich nach Exkrementen und die zähe Luft war von feinen Hühnerfedern durchsetzt, die in seine Atemwege eindrangen. Er lag so verdreht in dem Loch, dass er nicht einmal Platz zum Niesen hatte und sofort Muskelkrämpfe bekam. Das Geschrei des Geflügels um ihn herum schwoll an, als er versuchte, sich anders hinzukauern. Immer wieder hackten gelbe Schnäbel durch die Maschendrähte auf ihn ein. Es blieb ihm kein Raum zur Verfügung, um seine Extremitäten zu ordnen und sich gegen das Picken zu wehren. Die Luft wurde zunehmend unerträglicher und er fürchtete zu ersticken. Schmerzwellen durchzogen seinen Brustkorb. Seine Haare waren mit Hühnerscheiße verklebt. Der Karren stoppte abrupt. Er wusste, dass sie den Schlagbaum erreicht hatten. Die Hühner schimpften wütend in ihren engen Käfigen. Ihm wurde schwarz vor Augen.
     
     
    Die Zeit der zehn Sonnen
    9. Juli 2003
    Das war’s , dachte er, mehr tot als lebendig und fand sich mit seinem Schicksal ab, in diesem engen Loch an Hühnerfedern zu ersticken. Um die Qual noch zu verlängern, würden ihm die aggressiven Exkremente erst die Haut von seinen Knochen fressen, bevor die Lungenbläschen kollabierten. Tod durch Hühnerscheiße. Was für ein schäbiger Abgang!
    Die Erleichterung darüber, dass man sie unkontrolliert passieren ließ, half nur kurz über die widrige Lage hinweg. Er war tatsächlich nach Laos hineingekommen, aber was nützte ihm das, wenn er gleich danach eingehen würde? Dermaßen damit beschäftigt, am Leben zu bleiben, machte er sich nicht einmal Gedanken über seine geheimnisvollen Helfer.
    Nachdem der Karren wieder angerollt war, dauerte es eine weitere Ewigkeit, bis man ihn endlich aus dem Unterschlupf zog. Die Erlösung kam unerwartet, aber zum letztmöglichen Zeitpunkt. In seinem Versteck hatte er jegliches Zeitgefühl verloren, sich bereits mit dem Schicksal abgefunden, als die Hühnerkäfige entfernt wurden. Nur noch am Rand seines Bewusstseins registrierte er, wie man ihn mit kaltem Wasser übergoss. Starke Arme hoben ihn hoch und trugen seinen geschundenen Körper ein kurzes Stück. Dann überholte ihn die Dunkelheit und hüllte ihn ein.
    Er glitt hinab in eine Welt ohne Schmerzen ... eine Welt ohne Gedanken und Gefühle. Ein Prasseln holte ihn zurück an die Oberfläche. Tropenregen trommelte unermüdlich auf ein Wellblechdach. Im ersten Moment fühlte er sich in die Lagerhalle zurückversetzt, in der er vor einigen Tagen ebenfalls aus einer Ohnmacht erwacht war. Damals hatte ihn ein Albtraum zurück in die Wirklichkeit gejagt. Diesmal erinnerte er sich an nichts, an keinen Traum und auch nicht daran, was passiert war, bevor er den Blackout hatte. Frank lag in einem

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