Die Steinernen Drachen (German Edition)
von einigen blauen Flecken, war alles in Ordnung, lediglich einige Mückenstiche waren hinzugekommen. Die grauenhafte Vorstellung, die er aus dem Traum mit in die Wirklichkeit genommen hatte, schüttelte er aus seinen Gedanken. Er streckte seinen Rücken durch und atmete ein paar tiefe Züge der verhältnismäßig kühlen Morgenluft ein. Das Leinenhemd war aus der Hose gerutscht. Er stopfte es zurück und stellte dabei fest, dass er abgenommen hatte. Die letzten Tage waren ihm an die Substanz gegangen und obwohl er sich endlich wieder ausgeschlafen
fühlte, war er kräftemäßig ausgezehrt.
Sein Traum kam ihm wieder in den Sinn. In diesem Zusammenhang fiel ihm seine Tasche mit der Zeichnung des Drachen wieder ein. Eilig durchquerte er den Raum, in dem er gestern Abend mit dem Alten gesessen hatte und rannte in das Zimmer, in dem er aufgewacht war. Seine Tasche war nirgends zu sehen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass auch seine kompletten Papiere, die Kreditkarte und sein Geld weg waren. Er unterdrückte die aufkeimende Panik und versuchte einen klaren Kopf zu Behalten. Als er durch die Tür trat, stand die Frau vor ihm, die am Vorabend das Essen serviert hatte. Erschrocken zuckte er zusammen. Seine Reaktion entlockte ihr ein kurzes Kichern und wie, um ihn zu beruhigen, streckte sie ihm seine Tasche entgegen.
„Ihre Sachen waren nicht mehr sauber zu kriegen. Hühnerscheiße ist schlimm, sehr schlimm“, erklärte sie in einigermaßen verständlichem Englisch.
Frank bedankte sich und nahm die Tasche an sich. Zu seiner Erleichterung war alles noch da: sein Portemonnaie samt Inhalt, alle Klamotten und auch der Drache. Vorsichtig faltete er das Papier auseinander und betrachtete das Fabelwesen. Die Zeichnung wurde mit jedem Mal blasser, die Konturen verwischten sich mehr und mehr. „Was willst du von mir?“, flüsterte er, bekam aber keine Antwort.
Auch die Pistole war noch da. Er wog sie kurz in der Hand, betrachtete ein paar Sekunden das matt glänzende Metall, bevor er sie zurücksteckte. Gerade als er sich umgezogen hatte, kam der Alte ins Zimmer.
„Bist du fertig?“
„Fertig, für was? Woher sprechen Sie eigentlich so gut Deutsch?“
„Fragen, Fragen, Fragen! Dieser Mann kann nichts als Fragen stellen. Aber jetzt ist nicht Zeit für Fragen. Jetzt ist Zeit für Handeln.“
„Aber ...“
„Nix aber! Alles, was du wissen musst, steht in deinem Herzen. Und den Rest erkläre ich während der Fahrt.“ Mit diesen Worten verschwand der greise Laote. Durch das Fenster sah Frank, wie er das Haus verließ. Schnell schnappte er sich sein Gepäck und hastete hinterher. Die Sonne hatte es mittlerweile über die bewaldeten Bergkuppen geschafft und ließ die Temperatur steigen. Am nördlichen Himmel kündigten sich jedoch schon die ersten dunklen Regenwolken des Tages an. Vor dem Haus parkte ein rostiger, verbeulter Lieferwagen. Ein uraltes Modell von Toyota, dessen Grundfarbe nicht mehr zu erkennen war.
Er sah den Alte auf die Sitzbank kletterte. Unverzüglich überlagerte sich dieses Bild mit einer Erinnerung. „Ich kenne Sie“, platzte er heraus und streckte seinen Kopf durch das heruntergekurbelte Fenster. „Sie sind der Mann, den ich vor ein paar Tagen in Waiblingen auf dem Parkplatz vom Supermarkt gesehen habe.“
„Steig ein“, zischte der Alte und öffnete die Tür.
Frank quetschte sich neben dem alten Asiaten auf den Beifahrersitz. Am Steuer saß ein junger Mann, der wortlos nickte. Noch so ein gesprächiges Kerlchen , dachte er.
Der Toyota setzte sich ruckelnd in Bewegung. „Ich liege richtig! Sie haben mich beschattet.“
„Beschattet! Ich habe nur ein bisschen auf dich aufgepasst. War auch nötig. Sonst hättest du es bis hierher nie geschafft.“
„Was soll das heißen?“
„Die Chinesen hätten dich sicher nicht wieder laufen lassen.“
Er wurde blass und starrte designiert durch die verschmierte
Windschutzscheibe. Sein Mund war trocken und in seinem Kopf kreiselten die Gedanken. Sie fuhren einen ausgefahrenen, schmalen Weg entlang, der mit großen, braunen Pfützen übersät war. Der Fahrer umkurvte, soweit es ihm möglich war, die Wasserlachen, bog nach etwa vier Kilometern auf eine asphaltierte Straße ein, die am Mekong entlang führte. Hier herrschte trotz der frühen Stunde schon reges Treiben. Sie passierten einen Markt und mehrere Straßencafés. Auf der breiten Fahrspur drängelten sich viele Fahrräder, Mopeds, überladene Ochsen- und Handkarren, vereinzelt Busse,
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